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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Das Kunstgewerbe in den Pariser Salons
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0016
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DAS KUNSTGEWERBE IN DEN PARISER SALONS.

und Kirchen bilden. Die wundervollen Holzschnitzereien
eines Veit Stoss, welche die Frauenkirche in Nürnberg1
aufbewahrt, finden heutzutage keine Nachahmer mehr;
ein Wiederaufleben dieses und verwandter Zweige des
Kunstgewerbes lässt sich nur auf dem Wege eifrigster
Förderung seitens des Staates und der Stadtbehörden
erzielen, durch Veranstaltung von lediglich kunstge-
werblichen Ausstellungen und Anlegung von Muster-
sammlungen.

Das Fach der Pariser Kunsttischler ist in einigen
Schmuckschränkchen, den sogenannten Kabinetts, ver-
treten, deren Flügelthüren teils mit eingelegten Orna-
menten von Elfenbein, der Marqueteriearbeit, teils mit
vergoldeten Bronzereliefs geziert sind. Die Metall-
arbeiten insbesondere scheinen in einem verschwenderischen
Eeichtum neuer Formen, die dem Tier- und Pflanzen-
reich entlehnt sind, vorzugsweise aber die weibliche
Gestalt verkörpern. Besonders ist das mannigfaltige
Zinngerät durchgehends mit leicht und natürlich model-
lirten, zierlich gebildeten Menschenkörperchen geschmückt,
die bald in erhabener Arbeit vollkommen plastisch dar-
gestellt, bald in feinem Relief schwach hervorgehoben
sind. Das weiche, schlichte Metall mit seinem matten
Glanz erhält unter diesem reichen Figurenschmuck einen
durchaus edlen Charakter; manchmal wird es auch wohl
mit einer schönen, dunklen Patina versehen oder mit
anderen Stoffen wie Marmor und dergleichen kombinirt.
Im allgemeinen hat man sich in der Dekorationskunst
die japanische Art zum Muster genommen und ver-
wendet mit größter Ungezwungenheit in allen Techniken
des Kunstgewerbes die verschiedenartigsten Naturgegen-
stände zur Ausschmückung. Indess verspürt man bei
einem Rundgang unter den Objets d'art des Marsfeld-
salons einen Hauch freier Erfindung, eine kräftige in-
dividuelle Auffassung; nirgends ist von einer sklavischen
Nachahmung zierlicher, orientalischer Vorbilder die Kede.
Eine ganze Sammlung Vasen und Schalen scheint wie aus
Palmschaften oder Blattknospen hervorgewachsen zu sein.
Für letztere ist besonders die Form von großen, natu-
ralistischen Seemuscheln beliebt, auf deren Rande sich
Nymphen wiegen und badende Frauen in gewagten
Stellungen lagern. Anderswo gewahren wir den mächtig
vergrößerten, in Thon nachgebildeten Rückenpanzer eines
Taschenkrebses als Schale. Der plätre de Paris hat das
Material für die zahlreichen Gipsvasen geliefert, in deren
Relieffiguren Frösche mit Fischen und Vögeln wechseln.
Auf einer Vase ist ein Elsternpaar, das von einer Frucht
nascht, in Email ausgeführt; das blaugrüne und weiße
Gefieder bringt eine prächtige Farbenwirkung hervor.
Die Isle de France ist die Heimat der Gotik, und eine
Huldigung dieser echt nordfranzösischen Kunst liegt in
zwei vorzüglich gearbeiteten Gegenständen in der Aus-
stellung vor, einem bronzenen Thürschloss und einem
Fensterriegel aus gleichem Material. Die ganze ge-
schmeidige Feinheit moderner französischer Modellirkunst

Kunstgewerbeblatt. N. F. VII. H. 1.

ließ sich in einer herrlichen Bronzeschale von Victor
Prouve bewundern. Sie stellt eine allegorische Figur,
die „Nacht", dar: ein schönes Frauenhaupt, dessen weit
zurückfiatterndes, sternengeschmücktes' Haar Schale und
Fuß des Ganzen bildet. Im Schatten dieser dunklen Locken
sehen wir in kleinen Figuren alles geschildert, was im Dunkel
der Nacht seine Heimat hat, den unschuldigen Frieden
des Schlafs, die wilde Leidenschaft der Liebe, die Sorge,
die Not und das Verbrechen. In seinem ganzen Ein-
druck ein Stück italienischer Hochrenaissance, wie man
es sich nicht reicher und phantasievoller denken kann;
und dabei doch durchaus französische Mache. Frank
Scheidecker hat ein mit Wasserlilien und langstiligen
Sumpfpflanzen geschmücktes Uhrengehäuse aus kostbarem,
vielfarbigem Holz ausgestellt, der Elsässer Schuller eine
gotische, buntbemalte Fensterscheibe, auf der ein Pfau
stolz sein Gefieder spreizt, während unter einer Mond-
scheibe ein Rabe auf ein Molinfeld herabblickt. Derselbe
Aussteller brachte auf einem Ofenschirm ein Motiv seiner
engeren Heimat, das Straßburger Münster, zur Geltung,,
während sich im Hintergrunde Störche tummeln und ein
Meer von Schieferdächern ausbreitet. Eine Reihe Glas-
kasten enthält hübsche Nippsachen, zu denen mit Vor-
liebe geschliffener und geflammter Sandstein verwendet
ist. Wie fähig der Thon ist, menschlichen Gesichts-
ausdruck wiederzugeben, hat der verstorbene talentvolle
Joseph Cheret in einer Sammlung höchst lebendig auf-
gefasster Terrakottafiguren bewiesen. Durch seine frische
Naturwahrheit fällt besonders ein Tertakottafries auf,
„die Fischerinnen" genannt. Auf einer Ufermauer sitzt
eine Anzahl junger Mädchen, die sämtlich, aus der Thon-
fläche in Relief herausmodellirt, in gespannter Aufmerk-
samkeit, teils mit der Angel, teils mit dem Netz der
Thätigkeit des Fischfangs obliegen. Keines dieser Mäd-
chen kümmert sich um seine Nachbarin; jedes ist voll-
auf mit seiner eigenen Arbeit beschäftigt, und der Aus-
druck kindlich unbewusster Naivetät liegt auf allen
diesen jugendlichen Gesichtern. Am rechten Ende des
Frieses zieht eine Fischerin ihr reichbeschwertes Netz
herauf und schüttet den Inhalt zappelnder Fische aus;
eine Gruppe hat sich gebildet, um diesen Vorgang zu
beobachten und das Vergnügen über diesen gelungenen
Zug zu teilen. Neugierde, triumphirendes Entzücken,
einfache Freude, stille Erwartung — alle diese Affekte
spiegeln sich in den weichen Thonlinien dieser Kinder-
gesichter wieder. Bigot stellte aus grauem, flandrischem
Steinzeug (gres de Flandre) einen vierflügeligen Schirm
in durchbrochener Arbeit aus, der für einen verschieb-
baren Ofen bestimmt ist und dessen Sandsteinrippen
Spitzbogen bilden. An Stickereien, prachtvollen Gobelins,
deren einer den Auszug des Aeneas aus dem brennen-
den Troja darstellt, kostbaren Buch ereinbänden ist kein
Mangel.

Auch in dem kleinsten der vorhandenen Kunst-
gegenstände bemerkt man das Bestreben, einen reichen

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