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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Weese, Artur: Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0055
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DAS REICHSGERICHTSGEBÄUDE IN LEIPZIG.

einem Gemälde Woldemar Friedrichs, der Speisesaal in
seiner einladenden Freundlichkeit und der geschickten
und praktischen Verbindung- mit dem großen Saal, die
Bibliothek, besonders aber das entzückende Vestibül für
die Gäste und das heimliche, einfachere Treppenhaus der
Privatwohnung' zeigen jeder in seiner Bestimmung und
Eigenart die unerschöpfliche, schmiegsame Erfindungskraft
des Meisters, der für jeden kleinsten Teil seiner großen
Aufgabe mit der frischen Elastizität herantritt, als gälte
es nur auf diese eine Seite seines Werkes alle Kräfte
zu konzentriren. Die künstlerische Liebe, mit der der
intime Wohnraum ebenso durchgeführt ist, wie das
Wunderwerk der großen Halle, zeigen den echten Meister,
der aus dem Vollen schöpft.

Noch müssen wir einen Blick in die Höfe werfen,
die nach unserer Meinung als Architekturbild zu dem
Anziehendsten und Bedeutendsten des Bauwerkes gehören.
Sie erinnern durchaus an die hohe Würde der römischen
Höfe. Die ausladenden Formen des Barock, in denen
sich Hoffmanns Phantasie hauptsächlich bewegt, wirken
hier, ohne die geringste plastische Zuthat, wahrhaft im-
posant, zumal wenn man das Auge auf die unmittelbar
aus den Höfen zu gewaltiger Höhe aufstrebende Kuppel
richtet. Die geschlossene Einheit der Komposition und
der individuelle Charakter der Behandlung sind hier
unmittelbarer zu erfassen, als an den Fassaden.

Um einen Gesamteindruck des Baues zu erhalten,
ist wohl der günstigste Standpunkt von der Pleißenburg
aus zu wählen. Erst von dieser Entfernung wird man
die Bedeutung inne, die die Kuppel für den Aufbau des
Gebäudes hat, dann erst erscheint sie als der krönende
und gipfelnde Abschlags, dessen der weite Komplex durch-
aus bedurfte. Auch die organische Verbindung mit dem
Unterbau, der durch die Gruppen der fackelhaltenden
Frauen an den Ecken hergestellt wird, ist von hier aus
im Verein mit dem wiederholenden oder vorbereitenden
Motiv der Kuppeln auf den Kaisertürmen am besten zu
studiren. Der Eindruck ist so überzeugend und be-
wältigend, dass nach der inneren Bedeutung der Kuppel
zu fragen, nicht mehr gedacht werden kann. Sie recht-
fertigt sich durch die notwendige Eolle, die sie in der
Komposition des Außenbaues spielt.

Die künstlerischen Grundsätze, nach denen Hoffmann
arbeitete sind von dem Bauwerk selbst klar abzulesen
und wir haben bereits gelegentlich auf sie hingewiesen.
Einmal ist es die unbedingte Vorherrschaft, die die
architektonischen Forderungen über die Mitwirkung der
ornamentalen und dekorativen Nebenkünste ausüben. In
erster Eeihe steht für Hoffmann stets die Rücksicht,
dass das gewählte architektonische Motiv zur vollsten
Geltung gelangt. Deshalb beschränkt er sich in der

Häufung konkurrirender und sich gegenseitig beein-
trächtigender Mittel, wenn auch hie und da eine fast
allzugroße Ängstlichkeit sich bemerkbar machen mag.
Er will nirgends verschwenderisch erscheinen und scheut
sogar nicht den Vorwurf nüchterner Kargheit, wie in
der Behandlung der Korridore, wenn er dadurch den
höheren Zweck einer Kontrastwirkung gegenüber den
reicheren Bäumen im Mittelbau erreichen kann. Meister-
haft ist die Lichtführung und es war ein glücklicher
Griff, einen so außergewöhnlichen Künstler, wie Linne-
mann in Frankfurt a/M. mit seiner virtuosen Glasmalerei
hierbei in Dienst zu stellen. Auch die Bildhauer hat
Hoffmann mit scharfem Blick gewählt, denn die Reliefs,
wie die Giebelgruppen sind mit feinem Verständnis für
die Bedingungen des Raumes und Standortes entworfen.
Alle unterstützenden Kräfte verwandte Hoffmann mit
der Sicherheit eines zielbewussten Meisters, der an sich
selbst die Jahre der Arbeit hindurch die allergrößten
Anforderungen gestellt hat. So ist es ihm denn auch
gelungen, obgleich ihm nicht ein Drittel der Geldsumme
zur Verfügung stand, einen dem Reichstag in Berlin
künstlerisch gleichwertigen Bau zu errichten. Damit
ist eine für die Entwicklung unseres Bauwesens außer-
ordentlich wichtige Thatsache geschaffen, denn es ist der
Beweis geliefert, dass ungewöhnliche Fähigkeiten auch
in engeren Grenzen und mit geringeren Mitteln die
monumentale Würde und Gediegenheit den Bauwerken
aufprägen können, deren sie, wenn sie so hohen bedeut-
samen Zwecken dienen, wie der Reichsgerichtsbau,
niemals entraten sollten.

Wie groß wir aber auch das Verdienst des leiten-
den Meisters anschlagen, Hoffmann selbst hat nie zurück-
gehalten, das Verdienst seiner getreuen und aufopfern-
den Mitarbeiter, der Regierungsbaumeister Dybwad,
Wendorff, Böthke und Werdelmann anzuerkennen. Um
ein Werk aus einem Gusse zu schaffen, wie es in dem
Reichsgericht vor uns steht, bedarf es wohl einer ein-
heitlichen Leitung, aber ebenso einer entgegenkommenden
Unterstützung durch tüchtige und getreue Kräfte. Der
Einblick in die Werkstatt einer modernen ,,Bauhütte"
wie dieser geschilderten, enthüllt dem theoretischen Be-
urteiler erst, welche Selbständigkeit und wie viel von
eignem Wesen die einzelnen Architekten in die ihnen
anvertrauten Arbeiten hineinlegen können.

Dass der Bau, durch den Leipzig seine beste Zierde
erhalten hat, einen heilsamen, schulbildenden Einfluss
üben wird, das kann wohl nicht ausbleiben. Wir
wünschen, dass Hoffmann, nun im Vollbesitz seiner Er-
fahrungen, berufen sein möge, seine Gaben weiterhin in
den Dienst der deutschen Kunst zu stellen.

ARTUR WEESE.
 
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