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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Jessen, Peter: Die Kunst im Plakatwesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0102
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86

DIE KUNST IM PLAKATWESEN.

hat. Das gelingt nicht dem ersten besten Bildmaler,
der gelegentlich einmal ein Plakat erfindet.

Es wäre auch Cheret nicht gelungen, wenn er nicht
zugleich die Technik des Plakats beherrscht und geübt
hätte. Es ist unbedingt nötig, dass der Künstler sein
eigener Lithograph sei, damit nichts durch geringe
Vermittler verloren gehe oder durch die mechanische
Nachbildung vergröbert werde. In Cheret sind einmal
wieder Künstler und Handwerker eins; nur dadurch ist
der Kunst dieses neue Gebiet erobert worden. Und
zum Glück hat er es
endlich auch verstanden,
das Geschäftliche in die
richtige Bahn zu lenken.
Aus seinem Atelier sind
riesige Werkstätten er-
wachsen, und seine Ar-
beit hat es bewirkt, dass
die großen Institute, die
in Paris das Anschlag-
wesen in Händen haben,
die Kunst im Plakat mit
allen Kräften fördern,
statt sie, wie es wohl
anderswo geschieht, hint-
anzuhalten. Für den Be-
sucher von Paris ist es
eine besondere Über-
raschung gewesen, dass in
den wenigen Jahren wie
mit einem Schlage auch die
einfachen Schriftplakate
an den Zeitungskiosken
in Erfindung, Zeichnung
und Farben zu Mustern
ihrer Art geworden sind,
sicher nicht zum Schaden
der darin empfohlenen
Firmen.

Wir haben lange bei
Cheret verweilt. Aber
er ist so sehr der Vater
des heutigen Plakats,
dass alle Grundsätze
durch seine Arbeiten

festgelegt worden sind. Die mancherlei Künstler, die
neuerdings für das Fach arbeiten, sind in diesem Sinne
sämtlich seine Schüler zu nennen. Aber nur in diesem
Sinne. Ihre Aufgaben, ihr Geschmack, ihre Manieren,
ihr Können sind meist grundverschieden. Es ist kaum
ein eigentlicher Nachahmer darunter; denn Cheret's Art
kann nur von ihm selbst, dem starken und selbständigen
Meister, würdig geübt werden; wenn der Nachahmer
selber etwas zu sagen hat und nicht ein gleichzeitiger
Stümper ist, so muss er auf eigene Wege geraten. Die

Plakat von Dudi.ey Hardy. 75 :4!) cm.

Künstler, die Cheret in den Motiven am nächsten stehen,
die Guillaume, Meunier, de Feure u. a., haben jeder nach
seiner Art einen eigenen Zug hinzugethan, sei es in der
Zeichnung, sei es im Kolorit.

Ja der Plakatzeichner, dessen Arbeiten bei dem
großen Publikum den meisten Beifall gefunden haben,
der Schweizer Eugene Grasset, ist nach Geschmack und
Gesinnung das gerade Gegenteil von Cheret's leicht-
lebiger Art. Er ist ein strenger Stilist im Anschluss
an das Mittelalter und an die englischen Prärafaeliten,

keusch in den Motiven,
Geberden und Formen;
die Umrisse linear und
gleichmäßig, wie die
Bleifassung der Glas-
fenster; die Farben in
glatten Flächen; auch
die Schrift vorsichtig
und gemessen. Es ist
in seiner Kunst vieles
angelernt, manches trok-
ken; aber es ist ein
Mann von Geschmack
und Erfindungsgabe und
vor allem wieder ein
Künstler von sicherem
dekorativen Gefühl; er
hat für alle Techniken
gezeichnet; er kennt das
Handwerk, und er bleibt
darum den Grundsätzen
von Cheret's Plakaten
getreu, so fremd er
ihnen im Kern seines
Wesens ist. Das ist die
wesentlichste Lehre für
einen jeden, der vom
französischen Plakat ler-
nen will.

Stilisten inGrasset's
Art giebt es nicht viele.
Viel wichtiger ist die
dritte Gruppe: Die Mo-
dernen. Sie schauen
weder auf den Geist
des Eokokos, noch auf das Mittelalter zurück; sie greifen
hinein ins volle Menschenleben; wo und wie sie es
packen, da ist es interessant. Das Volk, die Gesell-
schaft, das Leben der Straßen und der Bühne, das alles
suchen sie für die großen Maßstäbe und weiten Wirkun-
gen der Anschläge zu erobern und zu verwerten; es
gehört ein gesunder Blick und eine gesunde Kraft der
Stilisirung dazu, um die modernen Vorwürfe so im
Großen vorzutragen. Die Meister, die sich an dieser
ganz neuen Aufgabe versuchen, sind großenteils Kari-
 
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