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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Jessen, Peter: Die Kunst im Plakatwesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0106
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DIE KUNST IM PLAKATWESEN.

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So regt man sich an vielen Stellen. Von Paris aus
ist namentlich auch das nahe Belgien gewonnen, wo eine
Gruppe jüngerer Künstler tüchtig arbeitet. Wir können
der Frage nicht ausweichen, wie es bei uns in Deutsch-
land steht.

Zunächst ist ja das Anschlagwesen selber anders
organisirt, wie im Ausland. Die Polizei sorgt dafür,
dass nur bestimmte Stellen, enge Säulen oder kleinere
Bretter beklebt werden. Geschieht das nur wegen des
Kontrakts mit dem Pächter oder in der Sorge, dass
große Anschläge das saubere Straßenbild stören könn-
ten? Sicher ist die Beklame nicht überall erfreulich.
Wenn man, wie in London, zwischen allen den
Tinten- oder Seifenfirmen die Namen der Stationen
oder die Schilder der Straßenwagen nicht mehr
findet, wenn die Landschaft neben der Eisenbahn
und gar die keuschen Höhen unserer Berge entstellt
werden, so mag man alle Plakate verwünschen und
nach der Polizei rufen. Allein die Polizei kann die
Riesenreklame selbst in den Städten nicht hindern.
Wo das Papier verboten ist, ist der Wandmaler
gern zur Hand. Er streicht sein Schild wie für die
Ewigkeit, ein buntes Feuerwerk von allerhand
Schriften, einen banalen Ulk eine süßliche Alle-
gorie, eine klobige Marke; das grinst dem an-
kommenden Fremden entgegen als erste Äußerung
deutschen Kunstfleißes, und es ist kein Wunder,
wenn er gegen unseren Volksgeschmack von Anfang
an eingenommen wird. Wenn die großen Flächen
mit bedrucktem Papier beklebt werden dürften,
wenn also die Reklamebilder industriell in Massen
hergestellt werden könnten, so würde es leichter
sein, für den Entwurf oder für die ganze litho-
graphische Ausführung künstlerische Kräfte heran-
zuziehen.

An Künstlern fehlt es uns nicht. Wir haben
in dem kleineren Maßstabe unserer Säulen- und
Innenplakate eine Reihe tüchtiger Blätter aufzu-
weisen, teils in dem mehr ornamentalen Geschmack
unserer kunstgewerblichen Bewegung, wie die Aus-
stellungsplakate von Rudolph Seitz in München,
Röchling in Berlin, Seder in Straßburg oder das
in London hergestellte große Plakat von E. Doepler
d. J., teils figürlicher Art wie die Arbeiten nach Gysis,
Länger u. a., teils in moderner Symbolik wie der
Minervakopf von Franz Stuck und das witzige Pan-
Plakat von Sattler, wo der erstaunte Gott vor dem
zu beackernden Felde die Blume erblühen sieht, die,
aus Papier gefügt, mit ihren Staubfäden den Namen
des jungen Unternehmers bildet. Diese Blätter sind
von tüchtigen Firmen meist unter Aufsicht der Künstler
sachgemäß reproduzirt und machen unseren Kunst-
anstalten alle Ehre. Allein nur einzelne sind von den
Künstlern selbst für den Stein gezeichnet, und an künst-
lerischem Reiz werden sie daher meist von den besseren

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Plakaten der Franzosen und Engländer übertroffen, weil
sie mechanisch und nicht eigenhändig übertragen sind. Man
steht nicht dem Künstler selber gegenüber, sondern seinem
Vertreter; ihnen fehlt das Persönliche, das immer wieder
fesselt; hier die Kunst, dort das Handwerk, aber noch
nicht die Einheit, nach der wir uns sehnen. Erst wenn
der Künstler sich Zeit und Geduld nehmen kann, um
selber die verschiedenen Farbenplatten, sei es auf den
Stein, sei es für die Ätzung zu zeichnen, wird er die
wahren Ansprüche des Farbendrucks erkennen und im
wahren Buntdruckstil arbeiten können. Dann wird er
experimentiren, wie heute die Engländer und Franzosen;

Plakat von Joseph Sattlee. 33 : 20 cm.

dann wird es ihn reizen, mit ganz wenigen Farben-
platten die größten Wirkungen zu suchen, die ganzen
Flächen und die Halbtöne der Platten so neben und
übereinander zu setzen, dass scheinbar ganz neue Farben
entstehen; dann braucht er seinen Entwurf nicht mehr
in die Hand des übersetzenden Kopisten zu geben; dann
werden wir endlich eine Kunst im Farbendruck be-
sitzen.

Denn wir dürfen uns nicht verhehlen, dass die große
Masse des modernen Farbendrucks — mit einigen rühm-
lichen Ausnahmen — auf nichts anderes bedacht ist,
als darauf, ein Ölbild oder Aquarell möglichst täuschend
wiederzugeben, d. h. eine Vorlage, die auf das Wesen

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