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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Schulze, Otto: Nachlese von der Weltausstellung Brüssel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0022

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NEUE ARBEITEN VON ALBIN MÜLLER IN DARMSTADT


Fachleute auf industriellen und technischen Gebieten. In
ihren Abteilungen verstummte das marktschreierische An-
gebot der vielen internationalen Verkaufsstände mit zweifel-
hafter Tandware, mit zahllosen billigen und schlechten Ar-
tikeln des gesamten Orients, aber auch mit solchen aus
diesen zweifelhaften Herkünften, die die deutsche Export-
industrie im Charakter der
betreffenden Importländer
in Millionen Mark an Wer-
ten auf den Markt wirft.
Und dann kommen un-
sere lieben klugen Lands-
leute her und kaufen sie
als echt exotisch zurück.
Darüber soll weiter kein
Wort verloren werden,
denn das ist ein Kompro-
miß zwischen Handel und
Industrie, dessen unser
Überseeverkehr noch be-
darf; wenn aber superkluge
Deutsche vor internationa-
len Verkaufsständen die
Verkäufer vor ihren Käu-
fern bloßstellen, das heißt,
ihre Kenntnis in bezug auf
diese deutschen Herkiinfte
hervorkehren, so wird der
deutschen Industrie, na-
mentlich der Textil-, Tep-
pich- und Bijouterieerzeu-
gung damit nur ein sehr
schlechter Dienst geleistet.
Ich hebe das ausdrücklich
hervor, um unseren Lands-
leuten, die draußen sehr
leicht aus der Haut fahren,
ein größeres Maß von Klug-
heit und Bescheidenheit
anzuempfehlen. Das an
Ort und Stelle-Verkäufen
innerhalb der großen Aus-
stellungen hat sich gerade-
zu zu einem Unfug und
zu einer Belästigung der
Ausstellungsbesucher aus-
gewachsen. Wieder eine
rühmliche Ausnahme ma-
chen die deutschen Stände,
deren Vertreter und Ver-
treterinnen sogar etwas
sehr zurückhaltend waren,
stets aber zuvorkommend
und freundlich, ohne bei
einem mißglückten Ver-
kaufsversuch dem Frager
Liebenswürdigkeiten nach-
zurufen. Es bleibt an allen
Orten zu lernen in kauf-
männischer, weltmänni-
scher und philantroper Hin-
sicht. Aus Fehlern können
Vorzüge destilliert werden und auch aus Vorzügen kann
man noch lernen, daß sich eins nicht für alle schickt.
Gerade hier prallen ja die haarsträubendsten Gegensätze
so hart aufeinander, hier stoßen sich so eng im Raum
die Dinge. Diese Zustände wären noch auffälliger, wenn
das Deutsche Reich dazwischen eingekeilt wäre mit tau-

send Lappen und Fähnchen in den fünfundzwanzig Dar-
bietungen der Wappen der Einzelstaaten — es wäre doch
auch nur eine riesige Verkaufsbude wie bei seinen Ge-
treuen Österreich und Italien. Oh, du mein liebes Öster-
reich, wie gesund wäre uns etwas von deiner zukunfts-
frohen Konkurrenz gewesen, um uns nicht noch dünkel-
hafter werden zu lassen.
Du hättest uns zuliebe
schon einen Extrakuchen
backen können; wir stehen
ja nach dem Brande Alt-
englands zu einsam da.
Und du hast doch den
Fortschritt, kämpfst fast
den gleichen Kampf wie
wir gegen Rückschritt und
Finsternis. □
d Recht betrübend ist
auch Italiens Beteiligung.
Wenn unsere Bundesge-
nossen ihre Waffen zu
Hause lassen, kennt man
sie kaum wieder; draußen
scheinen sie voneinander
wenig wissen zu wollen.
Die alte Kultur lastet noch
immer auf Italien, füllt
ihm aber auch zugleich die
Taschen. Noch auf keiner
Ausstellung habe ich Ita-
lien anders, denn als Mar-
mor- und Gipsfigurenver-
käufer gesehen. In Brüssel
gleicht dieser Vertrieb fast
einem Unfug; daß unsere
Landsleute ihn noch unter-
stützen, ist beschämend.
Die Verkaufszettel bedeu-
ten die Legitimationskarten
der Geschmacklosigkeit.
Ein schlechtes Werk aus
zweifarbigem Marmor
(Nippessache), »Die kleine
Bretonin« benannt, war
hundertmal verkauft. Wert
160 Lire. □
d Noch etwas Italieni-
sches, ich streife nur unsere
Gebiete: eine Marmor-
dame, nackend in Hänge-
matte, lebensgroß, aber
künstlerisch mittelmäßig,
technisch zwar raffiniert,
Wertangabe 50000 Lire
(40000 Mark) ist als Haupt-
gewinn für die Ausstel-
lungslotterie erworben
worden. Besser dafür
hätte sich noch das helle
Schlafzimmer im Werte von
50000 Lire (!) geeignet;
wenn dieses Zimmer auch
mit 20000 Mark noch reichlich bezahlt sein dürfte, so hat
es doch immerhin noch einen reellen Wert, auch in der
Güte seiner Arbeit. Das andere Objekt ist doch nur ein
Marmorbrocken, für dessen tadellose Ankunft beim »glück-
lichen Gewinner« nicht einmal garantiert werden kann.
Auch Italien dürfte uns zu Gefallen ein wenig kulturfreund-
 
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