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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

DOI article:
Breuer, Robert: Der Städtebau als architektonisches Problem
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0209

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STÄDTEBAU ALS ARCHITEKTONISCHES PROBLEM

ono
ZÖZ


atheniensische Stadtgemeinde, das Rom der Kaiser
und die Glorie der Sonnenkönige, diese Urgründe
jener Bauwerke, sie aber sind in jedermanns Vor-
stellung gegenwärtig; sie werden nicht nur gewußt,
sie werden als eine Periode der eigenen Ahnenge-
schichte auch empfunden. Wer kennt irgend einen
Baumeister der Pyramiden, einen der Architekten von
Baalbek, Palmyra oder Pompeji; wer aber empfinge
nicht unabweisbare und taufrische Vorstellungen, wenn
er an die verödeten Mauern dieser Trümmerfelder,
an einen einzigen behauenen Stein dieser toten Äcker
gerät. In den Gebilden der Architektur rettete sich das
verwehte Leben der Generationen; längst zerbrochne
Struktur sozialer Körper blieb in scheinbar entseelten
Denkmalen lebendig wie am Tage der Zeugung, n
□ Die Praktiker werden ob solcher Metaphysik viel-
leicht lächeln; ihnen bedeutet Architektur ein kom-
pliziertes, aus einer Fülle von Faktoren resultierendes
Geschäft, bestenfalls ein vielfältiges Handwerk, dazu
berufen, praktischen Bedürfnissen und gewissen An-
sprüchen auf Schönheit zu genügen. Der Städtebau
als Spezialität ist diesen redlichen Leuten nichts anderes
als ein Nebeneinander von Straßenregulierung, Kataster,
Kanalsystem, Feuerpolizei und Fluchtlinie. Die Prak-
tiker haben ganz recht, sie haben sogar mehr recht,
als sie zumeist glauben dürften! In der Tat: alle
Architektur und zwiefach der Städtebau ist eine Kunst
der Diagonale und des Kompromisses. Häuser bauen
und Städte organisieren, das heißt: die Wirklichkeit
einer Mittellinie zu finden zwischen einer idealen
Absicht und einer an den Tag gefesselten Notwendig-
keit. Die Praktiker haben durchaus recht. Nur können
sie nicht verhindern, daß sie selber, ihrem Unglauben
zum Trotz durch die geringste Phase der praktischen
Betätigung etwas dazu beitragen, das spezifische Wesen
der Architektur zu erfüllen. Auch die Praktiker müssen
des höheren Willens Werkzeug werden; sie müssen

mit dazu helfen, Stein auf Stein zu
legen, damit sich das ewige Denkmal
für ein Stück Menschheitsgeschichte
wölbe. Der Architekt ist nun ein-
mal das Instrument, Machtzentren
der Sichtbarkeit zu übergeben. Die
Architektur ist nun einmal das
Medium, durch das das Vergängliche
alles gesellschaftlichen Geschehens
ein dauerndes und für alle Zeiten
verständliches Gesicht bekommt.
Die Könige starben; doch blieben
ihre Paläste, um bis in die Zeiten
des Demos das Regiment der
Einen zu verkündigen. Die Kirche
verlor die Weltherrschaft; doch
blieben die Dome und Kathedralen,
um bis in die Tage des modernen
Heidentums von der Macht des
Dogmas zu zeugen. An solchen
Tatsachen gibt es nichts zu rütteln.
Es bleibt nur die Frage, ob solche
Materialisationen von ohngefähr ge-
schahen, nebenbei, zufällig; oder
ob diese Denkmalsaufrichtungen eben wirklich gewollt
waren, ob diese Materialisationen von Zeitgeist in
Architektur eben wirklich bewußt geschahen. o
□ Wer psychologisch in der Geschichte zu lesen
weiß, der wird nicht daran zweifeln, daß die Könige
wie die Kleriker ihre Schlösser und Kirchen als
Faktoren zur Macht, als Demonstrationen und Schwur-
helfer jederzeit begriffen und nutzten. Zwing-Uri
soll sie heißen! Die Herren wußten, wie das steinerne
Haus, nicht erst durch die Dicke seiner Mauern,
schon durch seinen Anblick Gehorsam erzwingen
würde. Die Städter versäumten es nicht, solche Weis-
heit zu lernen. Sie bauten ihre Rathäuser den Fürsten
zum Trotz. Man darf sagen, daß der spezifische
Charakter der städtischen Bauweise nur solange zum
Ausdruck kam, als die Städte eben wirklich die Macht
 
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