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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Elster, Alexander: Vereinfachung der Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0039

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32

VEREINFACHUNG DER KUNST?

Gedanken in einer Einheit aus. Er vereinfacht das
Sujet, um die Stimmung im großen wirken zu lassen;
er taucht eine Landschaft in eigenartige (subjektive)
Beleuchtung, die keine Einzelheiten, wohl aber ein
großes Etwas sehen läßt; er malt lieber den einzelnen
ringenden Krieger, den letzten Willen zu Leben und
Tod, als das bunte Bild einer Schlacht. Und mit
alledem rückt er bewußt von jener Kaleidoskopkunst
ab, die seitdem dem Kino überlassen bleibt. □
□ Ähnlich im Kunstgewerbe. Die Form des Gegen-
standes wird rein herausgearbeitet, mit Rücksicht auf
ihren eigentlichen letzten Zweck. Was die rohe Form
zieren soll, »Zierat« sein soll, muß aus eben dieser
Form, aus eben diesem Zweck herauswachsen, darf
nichts Aufgezwungenes, Angeholfenes, ins Detail
Gehendes sein. Große Linien, Konsequenzen: durch
das Ganze soll die Sache wirken, nicht durch ihre
Einzelheiten. Dafür brauchen Belege hier und jetzt
nicht mehr erbracht zu werden; gerade auf diesem
Gebiet haben verständige Männer bewußt dafür ge-
sorgt, daß diese Erkenntnis, diese neue moderne Er-
kenntnis, zum Gemeingut der Gebildeten werde, o
□ Viel weniger ist das auf dem Gebiet der Dichtung
noch bewußt erkannt und ausgesprochen, während es
tatsächlich auch da schon geübt wird. Es wäre ja
auch wunderbar, wenn es gerade dort nicht der Fall
wäre; denn wir wissen doch, wie absichtlich und
eigenwillig der Hörer und Leser eines Werkes aufs
Ganze geht: wissen will, was der letzte eigentliche
Zweck des Ganzen ist, was da eigentlich vorgeht und
was dieser Vorgang lehrt. So ist das Epos mit seiner
sprichwörtlich gewordenen »epischen Breite« dem
Untergang geweiht worden und der Roman — sein
Ersatz —- wäre zum mindesten wesentlich beschränkt
oder zu kürzerer Fassung verurteilt worden, wenn
nicht ein großer Teil der lesenden Menschheit geistig
undiszipliniert, stoffhungrig und kritiklos wäre und
wenn es nicht trotz des wirtschaftlichen Hastens immer
noch Leute gäbe, die Zeit haben und die gerne lange
einer Sache, die »schön geht«, zuhören. Am inter-
essantesten aber zeigt sich die Erscheinung der »Ver-
einfachung der Kunst« auf dramatischem Gebiet, und
darauf sei etwas näher eingegangen. □
□ Es wird zunächst Kopfschütteln erregen, wenn man
dafür als Beispiel sogar Richard Wagner nennt, der
die größten technischen Anforderungen gestellt, das
Komplizierteste verlangt und die längsten Theaterwerke
geschrieben hat. Aber verfolgen wir beispielsweise
gerade bei ihm den Weg vom »Rienzi« zum »Tristan«,
und sehen seine Meisterwerke der Reihe nach an, so
erkennen wir, wie er sich im künstlerischen Sinne
immer mehr zur Einfachheit, zur Herausarbeitung der
letzten eigentlichen Kunstabsichten entwickelt hat. Unter
Benutzung der technischen Kompliziertheit stärkster
Art hat er die deutsche Götter- und Heldensage, hat
er die Gestalten eines Tristan, Tannhäuser, Parsifal
— wenn ich so sagen darf — auf ihren letzten
Nenner gekürzt, die Gestalt in reiner Form, die jedem
nutzlosen Beiwerk entsagt, herausgebracht und na-
mentlich in seinem künstlerisch reifsten Werk, dem
»Tristan«, sie ohne jede sachliche Abschweifung ge-

geben. Wagner aber darf nicht unbeachtet bleiben,
wenn wir von Wandlungen der dramatischen Kunst
reden. □
n Im gesprochenen Drama war es zunächst Hebbel,
der hier die Wege wies. Seine Gegenüberstellung
des Individuums zu der Allgemeinheit brachte die
dramatische Idee auf ein einzelnes Geleise, konzen-
trierte sie, vereinfachte sie. Zwar sind bei ihm noch
mancherlei Schweifungen zu sehen, wenn er die psy-
chischen Komponenten seiner Gestalten bis ins letzte
Glied verfolgt — aber es dient doch einem festen
auf ein Einzelnes gerichteten Willen, und statt der
Buntgestaltigkeit eines Schiller-Dramas gibt er ein
neues vereinfachtes Kunstwerk, das deshalb nicht
kleiner zu sein braucht. Weiter noch ging die natura-
listische Zeit, die unter Vorantritt Ibsens einen ganz
neuen Typus für das Drama schaffte. Die breiten
Darstellungen früherer, selbst sehr erfolgreicher und
geschätzter Werke (man denke nur z. B. an Rai-
munds »Verschwender« und ähnliches, an das alte
Volksstück wie das Kunstdrama) waren mit einem
Schlage in ihrer Kunstform veraltet. Ja jetzt schien
es fast, als hätte man das Drama hohen Stils mit
eben dieser Konzentration und Vereinfachung völlig
erschlagen. □
n Aber es erholt sich wieder — und zwar auf dem
Boden eben dieser Konzentration, während es die
neuen Versuche der Buntfarbigkeit nach altem Muster
erbarmungslos zum alten Eisen wirft. Was man
heute will, ist dieses: wieder bunte Farben, aber nur
Farben, die ein ganz einheitliches Bild geben; und
von dem Bild, das gegeben werden soll, die innerlich
und psychisch letzte Form. Vergrößerung der Idee
und trotzdem Vereinfachung, Projizierung auf die
Licht- und Schattenseiten des Lebens und trotzdem
kürzeste Schlagschatten, Erwartungen und Konflikte
mit kürzestem Zügel gefaßt und gehalten und trotzdem
Zähigkeit der Durchführung bis zum Ende, wiederum
wie früher ergreifende Schlüsse und bildhafte Schön-
heiten, aber trotzdem nichts Gemachtes, vielmehr alles
aus tiefer Wahrheit! o
□ Die Aufgabe des Dramatikers ist hiernach, wie
leicht einzusehen ist, weit schwerer geworden als
früher. Man verlangt von ihm unendliche Fülle der
Gesichte und des Wissens, die obendrein zu letzter
Konzentration geführt sind -— und das bedeutet ge-
waltige künstlerische Selbstzucht. Letzte Destillate,
reine Kulturen! Dies scheint mir den Schlüssel zu
geben für den Erfolg eines »Tantris«, einer »Gudrun«,
für den Erfolg von »Glaube und Heimat« — Werke,
die trotz mancher z. T. ganz offensichtlicher Fehler
in knappster, schönster Art das Große sagen, was sie
zu sagen haben. Werke, die den Weg wieder weisen,
wie zu einer Kunst zu gelangen ist, die den Intellek-
tuellen wie dem Volke (beiderseits selbstverständlich
mit vielen Ausnahmen) etwas Wertvolles zu bieten
hat. Nur beispielsweise sind diese Werke genannt,
und nicht als letzte Erfüllung dieses künstlerischen
Sehnens der Zeit, wohl aber als bewußter Ausdruck
einer besonderen Art künstlerischen Willens, die meiner
Ansicht nach die Zukunft für sich hat. □
 
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