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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

DOI Artikel:
Behne, Adolf: Fortschritte in der Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0055

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FRANKFURTER KUNSTGEWERBESCHULE

/IQ
4o


Klasse Jungnickel.


Klasse |ungnickel

gelnd, die Ramberg, Karl Becker, Fröschl, Velten ersticken
ihn in den Ausstellungsberichten! Seine Bilder, in den Sälen
totgehängt, finden nicht im Entferntesten das Entgegen-
kommen, welchem die Neu-Sezessionisten, die Cezanne-
und van Gogh-Schüler heute in den wissenschaftlichen
Referaten begegnen. Und doch weichen diese Künstler
von aller Norm, von allem, was man von einem Bilde je
glaubte fordern zu dürfen, so stark ab, daß der Schritt
vom Üblichen bis zu ihnen ungleich größer ist und weit
mehr Entgegenkommen kostet, als das gegenüber Feuer-
bach oder Böcklin der Fall war. Trotzdem ist die Kritik
ganz allgemein ihnen gegenüber viel bereitwilliger, viel
entgegenkommender, als sie es jenen gegenüber gewesen
ist. Genügt auch bei ihr zur Erklärung die Annahme
eigener Unsicherheit? °
□ Wenn man glauben dürfte, daß einer der Gründe der
sei, daß die Kritik heut weit mehr in den Händen von
kunstwissenschaftlich gebildeten Männern liegt als früher,
so wäre das für diese Wissenschaft kein schlechtes Zeichen.
Lag doch früher die Kritik entweder in den Händen von
Künstlern, und dann meist solchen, die es mit Meißel und
Palette nicht eben am weitesten gebracht hatten, oder von
Ästheten, für deren Zuständigkeit und Kompetenz zeitweise
mehr noch das Wissen um das, was sich schickte, als um
das, was schön sei, entschied. Nun ist Künstlerkritik nie-
mals erfreulich gewesen. Die Einseitigkeit, die den Künstler
ziert, macht den größten Fehler des Kritikers aus. Töpffer,
der ja eben beginnt als Zeichner wieder geschätzt zu wer-
den, schreibt völlig zutreffend: »An die Künstler darf man
sich erst gar nicht wenden, wenn man ein Urteil über ein
Bild haben will. Die allermeisten haben zu wenig ge-
sehen, und was sie gesehen haben, ist ihnen durch die
Brille ihres eigenen Talentes, ihrer persönlichen Neigungen,
ihrer individuellen Vorurteile erschienen, wodurch sie ganz
geblendet wurden.« Und Feuerbach, der den Künstler als
einzig berechtigten Kritiker stabiliert, fügt selbst sofort
hinzu: »Natürlich nicht derjenige Künstler, der selber
schlechte moderne Bilder malt.« Aber auch wenn diese
Bedingung erfüllt sein sollte, ist der Künstler noch lange
kein guter Kritiker. Böcklin hat sicherlich keine »schlechten
modernen Bilder« gemalt und doch fällte er über Feuer-
bach, über Marees, über Leibi die unglücklichsten Kritiken,
die man sich nur denken kann! □
□ Da der Künstler als Kritiker stets »die« Kunst und
»seine« Kunst identifiziert, so entstehen naturgemäß bei
Beurteilung eines und desselben Meisters durch verschiedene
Künstler die größten Widersprüche. Wir wollen einige
Beispiele geben, bei deren Zusammenstellung das treffliche
Büchlein von Karl Eugen Schmidt:
»Künstlerworte« (Leipzig 1906. E. A.
Seemann) gute Dienste leistete. o
□ »Im Vergleich mit Tizian, der immer
ein voller Künstler war, ist Rembrandt
ein kleines Talent, der sein Hauptaugen-
merk auf das Machen richtete.« (Böcklin.)
° »In Amsterdam werde ich die Ver-
ehrung meines ganzen Lebens, das Idol
meiner ganzen Seele und meines ganzen
Herzens, meinen Glauben, meinen Gott
wiederfinden: Rembrandt.« (Bouvin.) □
□ »Rembrandt ist nicht als Kolorist zu
betrachten, denn es ist ihm nur um
Hell gegen Dunkel zu tun, auf Farben-
stimmungen hat er sich nie eingelassen.«
(Böcklin.) □
□ »Als Kolorist stelle ich Rembrandt
über Tizian, über Veronese, über alle.«
(Meissonier.) □
 
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