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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Behne, Adolf: Fortschritte in der Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0057

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50

FORTSCHRITTE IN DER KUNSTKRITIK

□ »Vielleicht wird man später entdecken, daß Rembrandt
ein viel größerer Maler ist als Raffael.« (Delacroix.) □
□ »Wir wollen Rembrandt und die andern holländischen
und flämischen Künstler nicht zu Unrecht bewundern.
Und vor allen Dingen wollen wir sie und ihre Werke
nicht mit dem göttlichen Raffael und mit der italienischen
Schule vergleichen. Das wäre Lästerung!« (Ingres) □
□ »Das sage ich Dir, daß Lucas Signorelli zu den Malern
der ersten Klasse gehört.« (Cornelius.) □
n »Nein, dieser Kerl — wie heißt er doch — der
Signorelli! Etwas Talentloseres habe ich nie gesehen.«
(Böcklin.) □
□ Man möge diese Beispiele durchgehen in Gedanken
an Feuerbachs Postulat: »Der einzig wahre Kritiker ist
der gebildete Künstler selbst.« Es sind alles gebildete
Künstler, die ich zitiert habe. Das Ergebnis ist nicht er-
mutigend. n
□ Nun ist es ganz richtig, daß, wollte man Urteile von
Pietsch, Rosenhagen, v. Ostini u. a. bekannten Berufskritikern
zusammenstellen, sich ganz ähnliche Widersprüche zeigen
würden. Aberder springende Punkt ist, daß derTypus Berufs-
kritiker verbesserungsfähig ist, der Typus Künstler-Kritiker
nicht! Kein Mensch wird glauben, daß der Berufskritiker
heute auf idealer, absoluter Höhe stehe. Er ist besser
als früher durch lange Zeit, hat entschiedene Fortschritte
gemacht, aber durch Auswahl, durch Entlastung, durch
wachsende Ansprüche des Publikums wird er weiter-
getrieben werden können und müssen. Wie sollte da-
gegen der Typus Künstlerkritiker seiner Mängel enthoben
werden. Seine Mängel sind natürliche, notwendige, mit
eben seinem Künstlertum verbundene; die des heutigen
Kritikers sind abstellbare. □
o Ein Einwand läßt sich allerdings gegen die geringe
Einschätzung des Künstlers als Kritiker erheben — doch
nur scheinbar. Haben nicht in zahlreichen Fällen Künstler
über ihresgleichen die besten, treffendsten, eindringlich-
sten Sätze geschrieben? Ohne Frage. Was Liebermann
über Manet und Degas, Hildebrand über Hans von
Marees, Israels über Rembrandt, Hagemeister über Schuch
schrieb, das ist von größtem Werte. (Die Schriften von
Künstlern über ihr Metier zählen natürlich nicht mit. Hier
danken wir ihnen so ziemlich alles. Aber das fällt nicht
unter die Rubrik: Kritik.) Doch lasse man die Künstler,
die hier so glücklich gewesen sind, einmal über be-
stimmte andere Themen schreiben, zwinge einmal Hilde-
brand über Slevogt, Liebermann über Puvis de Chavannes
zu schreiben! Wenn Künstler als Kritiker eines anderen
Lebenswerkes überzeugend gewirkt haben, so handelte es
sich stets um Weggenossen. Sie haben aus Liebe zur
Feder gegriffen, für ihren Meister, für einen Mitkämpfer,
einen Schüler, einen Ahnherrn. Da war kein Widerstand
zu überwinden, kein Hindernis zu nehmen, kein Zwang
auf sich selbst auszuüben. Deshalb fallen auch diese
Schriften nicht eigentlich in die Kategorie: Kritik. Denn
ihre Entstehung ist eine umgekehrte wie beim Bericht des
Kritikers. Dieser darf nicht wählen, wovon er einmal be-
richten will, er soll von allem Guten, mag es unter sich
noch so verschiedenartig sein, berichten, auch wenn er
sich persönlich nicht gefangen geben kann. Der Künstler
dagegen schreibt freiwillig und nur über Dinge, die ihm
besonders ans Herz gewachsen sind. Damit ist wohl der
Gegensatz zum Kritiker deutlich genug gegeben. □
□ Auf jeden Fall hat der Künstler als Kritiker mit seinen
technischen Kenntnissen und Erfahrungen vieles voraus
vor dem Kritiker, der im Hauptberufe Ästhet oder Literat
ist. Wiertz sagte: »Die Kritik der Schriftsteller, der geist-
reichen Leute, ist selten vernünftig, . . . die der Dichter
fast immer lächerlich.« n

□ Kehren wir zu unserem Beispiel zurück, der jüngsten
Entwicklung der Malerei. Der Maler als Kritiker, der
voraussichtlich nicht selbst dieser jüngsten Generation an-
gehören dürfte, würde sie wütend bekämpfen, da sie allen
eigenen Prinzipien widerspricht, wofür man ja sehr leicht
Belege aus der jüngsten Vergangenheit anführen könnte
(vgl. den »Protest deutscher Künstler«), Den Ästheten
würde das Wilde und Siürmische leicht abstoßen. Der
Literat, der Dichter würde vor diesen Problemstellungen
stumm bleiben. n
□ Denn bei niemandem ist die Versuchung, in erster
Linie nach dem Inhalt zu sehen, größer als bei dem
Literaten. Er hat als Kunstbeurteiler in der Tat selten eine
glückliche Rolle gespielt. Dinge, die nichts »bedeuteten«,
hat er selten geschätzt. Beachtet man nun, wie die Jungen
dem literarischen Inhalt in der Malerei gerade ein Ende
machen wollen, so erscheint die Kluft doppelt groß. n
□ Wenn also die Jugend nicht im Dunklen bleiben, nicht
das Schicksal der meisten Neuerer teilen soll, die auf
einer anderen Welt schufen, so muß ein anderer Typus des
Kritikers in die Bresche springen: der kunstwissenschaft-
lich gebildete Kritiker. □
□ Dabei sind freilich verschiedene Vorurteile auf beiden
Seiten abzulegen. Der Kunstwissenschaftler muß das Vor-
urteil aufgeben, daß die wissenschaftliche Behandlungs-
fähigkeit und -Würdigkeit der Kunst nur bis zum Jahre 1800
reiche, und auf der anderen Seite wäre das Vorurteil zu
opfern, das im Kunstwissenschaftler einen Registrator von
Etiketten sieht. Zum Genuß eines Bildes gehören keine
kunstgeschichtlichen Kenntnisse. Aber man kann einem
Bilde nicht gerecht werden, wenn man nicht erkennt,
welches Problem der Maler sich gestellt hat. Erst muß
ich dieses erkennen, ehe ich ein Urteil mit Aussicht auf
Gültigkeit abgeben kann. Wenn also eine Erkenntnis
des jeweils vom Künstler gestellten Problems zur Kritik
notwendig ist, so wird in der Tat der vorurteilslose Kunst-
wissenschaftler gerade die geeignetste Persönlichkeit zur
Kritik sein. Denn aus der Beschäftigung mit der Geschichte
und Entwicklung der Kunst weiß er am besten wie ein
Problem das andere ablöst, wie der eine Weg, der zu Resul-
taten geführt hat, sogleich oder in einem gewissen Abstande
bewirkt, daß auch der entgegengesetzte versucht wird. Er
ist befähigt, die Dinge im großen Zusammenhänge zu sehen
und in Beziehung zu setzen. Freilich ist dabei Voraus-
setzung, daß er auch die Vergangenheit nicht lediglich vom
Gesichtspunkt der Jahreszahl und der Bilderchronologie
betrachtet hat, sondern in der Entwicklung der Kunst eine
Geschichte von Problemen gesehen hat. Dann aber wird
er am ehesten imstande sein, auch jedes neue Problem
zu verstehen und den Bearbeitern desselben gerecht zu
werden. o
□ Freilich muß er eine Bedingung erfüllen, die unabhängig
von allem Studium der Kunstwissenschaft ist, und ohne
die auch er mehr Schaden als Nutzen anrichten würde:
er muß lebendiges Qualitätsgefühl besitzen. Das muß er
von vornherein mitbringen. Das ist stillschweigende Voraus-
setzung, obgleich gerade diese Bedingung von allen am
seltensten erfüllt ist. Denn die Niederschrift einiger sehr
verständnisvoll klingender und zu nichts verbindender Sätze
über die Entwicklung, die innere Notwendigkeit in der
Abrollung der Probleme setzt noch keineswegs ein leben-
diges Qnalitätsgefühl notwendig voraus, ist vielmehr oft
nur Zeichen eines aus der Furcht, sich anders zu blamieren,
erwachsenen »Wohlwollens«! Aber unsere Meinung geht
dahin, daß unter einem Künstler, einem Ästheten, einem
Literaten und einem Kunstwissenschaftler von gleich stark
ausgeprägtem Qualitätsgefühl der letzte als Kritiker sich
am meisten bewähren würde. z>. Adolf Behne.
 
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