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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Lesenberg, Wilhelm: Carl Schäfer und eine lebendige Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0081

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CARL SCHÄFER UND LEBENDIGE BAUKUNST

hat, ein wahrer Sprachkünstler, sich versucht in den ver-
schiedensten Abwandlungen der deutschen Sprache, ja
sogar noch in ihren Mundarten — die Rede unserer Tage
aber sprach er nie! □
n Nun aber der andere Einwand: Ihr wollt doch auch
heute deutsch sprechen, also müßt Ihr zur Gotik zurück.
War denn die Gotik allein die deutsche Kunst? Das er-
öffnet eine Fülle der Gedanken. Hier nur die kurze Ent-
wicklungsreihe dieser spezifisch deutsch genannten Kunst.
In die römische Provinzialkunst in Gallien drangen über
Ravenna und Marseille orientalische, christliche Ideen.
Aus dieser merovingisch-karolingischen Kunst ward die
Kunst der Ottonen, die hellenistisch-oströmischen Einflüssen
sich öffnete. Aus dem Romanischen, der Klosterkunst,
deren Grundlagen aus dem Orient, der Heimat der Klöster
stammte, erwuchs in Frankreich die Gotik. Von dort
erhielten wir durch die Benediktiner und Zisterzienser die
ersten und auch später immer wiederkehrende Anregungen.
Das Bauhüttenwesen schloß sich an. Daß außerdem noch
viel Sarazenisch-Islamitisches in die Schmuckformen über-
gegangen war, nur nebenbei. Wo bleibt da das National-
Deutsche? wo das Bodenwüchsige? Der Ruhm der
deutschen Gotik liegt darin, diese Baugedanken zur
höchsten Entwicklung gebracht, bis zur letzten Konsequenz
durchgeführt zu haben. Die Logik, die in den Formen
steckte, ward bis zur Neige ausgeschöpft. Als schon
müßige Spielerei einsetzte, trat eine neue Kultur auf den
Plan und führte langsam über in neue Konstruktionsprin-
zipien, wie sie die Aufgaben der Zeit erheischten. □
d Und nun glaubt man wirklich, wir könnten den Geist
und die Formen der Gotik wieder für uns lebendig
machen?! Noch ist nie eine Kunst zu früh gestorben.
Und die Gotik ist endgültig tot — weil ihre Gedanken tot
sind. Möchte doch endlich die Überzeugung sich durch-
setzen. Nicht die Formen, auch nicht die Konstruktionen,
kurz, nicht der Stil ist das Ausschlaggebende — nur der
Geist der Zeit, die hier ihren Ausdruck findet. Gewiß
die Madeleine in Paris ist ein Tempel wie die Börse —
»reine Unnatur«. Doch im Sinne ihrer Zeit und ihrer
Erbauer die gemäße Verkörperung des kirchlichen Ge-
dankens, wie sie ihn verstehen wollten und wie sie ihn
allein ausdrücken konnten. Also ein bezeichnendes und
damit echtes Werk. Ob es auch schon eine der absoluten,
als Kunstwerk ewig gültigen Lösungen einer solchen Idee
ist, bleibt eine andere Frage, die vor das höchste Forum
der Kulturwertung gehört. Schinkel mußte die Berliner
Hauptwache als Tempel errichten, einfach weil er und
seine ganze Zeit in diesen Formen dachten. Schäfer hätte
wohl für die Madeleine ein gotisches Gewand, für die
Hauptwache jedenfalls auch »nationale« Formen gewählt.
Es steckt in ihm eben viel zu viel wissenschaftliches Be-
rechnen, das Naive des rein künstlerisch Schaffenden fehlt.
Wollte er doch als junger Mensch sich den Naturwissen-
schaften widmen. Das erklärt vieles in seiner Betrachtungs-
weise. Er war ganz ein Kind des 19. Jahrhunderts. Und
als Schöpfungen dieses Jahrhunderts, das so gelehrt
geworden war, daß es die freigestaltende Kunst vergaß,
werden auch Schäfers eigene Arbeiten späteren Zeiten
echt sein und bezeichnend eben für diese Zeit. War sie
künstlerisch stark, eigen und groß? — Darin ruht schon
das Urteil auch über Schäfer. □
□ Sehen wir einmal die Hauptposten seiner Lebens-
rechnung an und ziehen das Fazit. Das Bauwerk, das
wohl Schäfers eigenste und von seinen Schülern als
klassisch gepriesene Schöpfung darstellt, ist die Universität
zu Marburg (1872—77). »Die Zweckbestimmung des Bau-
werks und der einzelnen Teile bilden das Programm zum
ganzen Baugedanken« (Steinmetz). Was also tat Schäfer?

Er setzte ein gotisches Kirchenlanghaus hin und nannte es
Aula. Daran fügte er unter Ausbildung eines Kreuzgangs
einen langgestreckten Klosterbau, die Universität. So
würde die härteste Formel lauten. Wie kam er zu dieser
Lösung? Lassen wir alle schönen Worte von Theorie
einmal beiseite: Erstens weil er empfand, der Dominikaner-
kirche schlösse sich »am echtesten« ein Bauwerk im
gleichen Stile an, zweitens weil er in nationalem Stile
bauen wollte, und drittens, weil er doch innerlich weit
mehr Romantiker war, wie er selbst sich eingestand, und
ihm daher die Idee von Kloster und Universität noch einen
gewissen gemeinsamen Zauber hatte. (Wenn er an Mar-
burg als Theologiehochschule dachte, dann wäre allerdings
ein feiner Scherz darin.) Doch was der moderne Mensch
in dem Begriff Universität faßt, das liegt ganz und gar
nicht in dem Bauwerk. Hier der Kernpunkt. Nicht aus
dem Material, nicht aus einem nationalen Stil — aus dem
Gedanken, der in der Bauaufgabe steckt, soll sich die Ge-
staltung ergeben. Das sind Grundsätze, wie sie ein
Hermann Muthesius, ein Cornelius Gurlitt und andere
unter uns vertreten. □
a ln der Vorrede zur »Bauhütte, Entwürfe im Stil des
Mittelalters (1883—95)« stellt Carl Schäfer als die Grund-
lage für Entwicklung einer modernen Baukunst hin, »wenn
überall auf den historischen Romanismus und die histo-
rische Gotik zurückgegangen wird, wenn der Schüler, zu
den Denkmälern selbst hingeführt, deren Formensprache
genau nachzusprechen und dadurch in den Geist des Stiles
einzudringen versucht«. In gleichem Sinne spricht er noch
am 31. August 1896 und fügt hinzu: »Auf dieser histori-
schen Basis möge dann ein Urgenie, ein Michelangelo an
der Erfindung des neuen Stiles das Seinige tun.« Erfin-
dung . . .! Daß Schäfer an die Erfüllung dieses Wunsches
selbst nicht glaubte, klingt schon aus den Worten genug-
sam deutlich. Mit Recht. Ein Stil ist nicht bloß ein Er-
gebnis aus Materials- oder Konstruktionsbedingungen, ein
naturwissenschaftliches Produkt, sondern er ist auch der
Ausdruck einer ganzen Kulturepoche, die Verkörperung der
Gesinnung einer Zeit. Wir sind nicht Söhne des Mittel-
alters. Unser Empfinden und Denken wandelt andere
Wege. Ein gewaltsames Zurückschrauben führt zur Maske-
rade. Darin liegt der innere Widerspruch zu dem ge-
raden, echten Wesen Schäfers. □
□ Daß Schäfer aber gerade das Gefühl für das Gewachsene
und nur einmal Echte einer Kultur fehlte, beweisen
Schöpfungen wie sein Marburger Haus Grimm (1879),
das Hauptdenkmal seiner sonst so wertvollen und inter-
essanten Forschungen über Fachwerkbauten. Er charakteri-
sierte es folgendermaßen: »Die für alle Bauteile gewählten
Formen entsprechen dem Stile des 13. Jahrhunderts. . . .
Der Bau ist jedoch seiner Anlage und Konstruktion nach
spätgotisch, bezw. ein Renaissancebau und nur in der
Art des 13. Jahrhunderts detailliert.« Also Formen, die
zusammen mit einer zeitlich zurückliegenden und primi-
tiveren Konstruktion geboren, sich nur mit ihr zwanglos
vermählten, werden einer späteren Stufe aufgepfropft.
Trotz aller schönformulierten Theorien ist das Endergebnis
doch immer wieder ein Spielen mit Stilformen. n
□ Dabei wollte Schäfer nicht »geistloses Kopieren«, sondern
nur »stilechtes Bauen«. — Dem Kunsthistoriker sind eine
große Plage die Fälscher. Ich erinnere nur an den be-
rühmten Fall Libri in Paris. Hier war ein Mann, der als
Sammler und Bibliotheksbeamter an leitender Stelle sich
mit dem allergrößten Verständnis in die Feinheiten der
alten Manuskripte hineinlebte und solche dann — zuerst
aus Liebhaberei, dann aus Geschäftssinn — selbst anfertigte.
Fälschte! Wundervolle Arbeiten, die ganz den Stempel des
Alten trugen. Solchen Werken gegenüber hat sich der
 
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