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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Schur, Ernst: Impressionismus und Raumkunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0121

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114

IMPRESSIONISMUS UND RAUMKUNST

Grün gehaltenen Linien des Vordergrundes harmonisch
abheben. Auch hier sind meist Gartenszenen dargestellt.
Die stilistische Übertragung ist hier vollkommen. Darum
wirken diese Bilder, in denen ein neuer Freskenstil sich
ankündigt, geschlossen, einheitlicher, auch im Ton ruhiger.
Das Lichte, Graziöse, der deutlichen Form Abholde, mit
einem Wort, das Französische, spricht sich in diesen Bildern
mit kultureller Bedeutung aus und so betonen die Werke
den spezifisch nationalen Charakter. □
□ Dekorative Tendenzen zeigen sich auch bei den Primi-
tiven, bei Denis und bei Gauguin. □
□ Schön ist bei Denis der matte Ton der Farben, der
dem Ganzen einen flüchtigen Eindruck gibt. Denis führt
die Linie Puvis de Chavannes weiter. Alles Bunte ist
vermieden, die Formen erscheinen verschwommen, etwa
in der Art Carrieres, nur nicht so plastisch, sondern flächen-
hafter. Resoluter war Gauguin, der auf fernen Inseln
primitiven Farbensinn lernte. Seine Schöpfungen mit den
primitiven Farben wilder Völker, die von den kunstgewerb-
lichen Arbeiten der Wilden uns so kräftig und eigen an-
muten, zeigen seinen Stil deutlich. Man muß das Stilistische
darin herausspüren. Es hegt in dem durch das primitive
und echte Farbengefühl der Insulaner geleiteten Farben-
sehen des Künstlers: das Bevorzugen des Gelb, Violett;
des Trüben, Düstern im Ton. Der Künstler hat sich auf
diesem Wege eine eigene Farbenskala geschaffen, die
dekorative Werte besitzt. Indem Gauguin in ferne Länder
zog, tat er, was frühere Künstler taten, wenn sie nach
Italien zogen. Und er fand dort auch dasselbe: eigene
Farben und jene statuarische Form der Menschen, die dem
Dekorativen so geneigt ist. □
□ Es ist bezeichnend, daß gerade der junge Nachwuchs
der Franzosen diesen dekorativen Tendenzen folgt. Zwei
Richtungen sind da erkennbar. Die eine entnimmt dem
Malerischen den dekorativen Reiz, die Farben sitzen locker
nebeneinander. Solch ein Bild verhüllt leicht den Inhalt
und die Farben schimmern in fast selbständiger Erschei-
nung. Man merkt das Nachwirken des Rokoko, jenes
Leichte, Flatternde in der Malerei. Sie geben Stimmungen
aus alten Parks und Gärten, mit Figuren in alten Kostümen;
über das Ganze ist ein einheitlicher, grauer Schimmer ge-
legt, aus dem Gelb, Blau, Violett nur sanft herausleuchten.
Die Figuren treten nicht heraus; diese Tanzenden, Lagern-
den sind ganz eingehüllt in sonnige Luft, die wundervoll
über gelben Büschen und am hellblauen Himmel flimmert,
so daß auch hier trotz alles Diffizilen, eine malerische,
dekorative Einheit erzielt ist. □
□ Die andere Richtung gibt der Kontur ihr Recht. Der
Dinge Form tritt deutlich heraus. Während die oben
genannten malerisch auflösen und über das Dargestellte
einen Schleier breiten, treiben diese Künstler das Gegen-
ständliche, jeden Dinges Außenseite mit Absicht kraß
heraus und die Farbe ist wie eingefaßt mit breiten Linien.
Auf diese Weise gewinnen sie durch Betonung der leuch-
tenden, nuancierten Lokalfarben eine dekorative Erschei-
nung von fabelhafter Wucht, deren Wert im Einzelnen in
den deutlich sichtbaren Farbenflächen besteht. Mit außer-
ordentlicher Kühnheit gehen sie da vor; die Pinselstriche
sitzen breit und derb nebeneinander; grell und prall leuchten
die Farben. In Landschaften und Stilleben sind meist die
Motive. Sie stimmen die Gesamtheit der Farben bewußt
zueinander. Den Landschaften ist oft herrliche Leucht-
kraft eigen. Die Nuancen stehen trotz aller Kraft fein
ineinander; das Licht leuchtet prachtvoll überden Bäumen,
am grünblauen Himmel. Mit stärksten Mitteln ist hier ein
Nalureindruck erreicht, der durch die Art der Darstellung
bewußte, dekorative Kunst geworden ist. □
□ ln diesen Zusammenhang gehören auch zwei Künstler,

deren Art voneinander verschieden ist: Rohlfs und
E. R. Weiß.
n Auch bei Rohlfs, der die neo impressionistische Technik
bevorzugt, meldet sich, faßt unbewußt, das Hinstreben zum
Dekorativen. In alten, westfälischen Häusern gibt er
flimmernd helle Farbigkeit, von lebendigster Erscheinung.
Und bei Weiß, der allmählich immer mehr vordringt, ist
dieses Problem, wie aus dem Impressionismus das Deko-
rative sich entwickelt, geradezu Wesensart geworden. Weiß,
der sowohl zur Graphik wie zur Raumkunst, wie zur Malerei
Beziehungen hat, stellt in sich eine Vermischung deutscher
und französischer Tendenzen dar, die er mit einer zucht-
starken Intelligenz in sich verschmilzt. Er hat viel von den
Franzosen gelernt, das Farbige, Malerische, und er hat sich
nicht aufgegeben. Nur im Zeichnerischen ist er nicht so
sicher. Aber er versteht, aus seinen Mängeln Vorzüge zu
machen. Das Bewußte seiner Arbeiten zeugt von Reife
und namentlich die Stilleben, Blumen und Obst, haben
prachtvoll suggestive Farbenerscheinung, während andere
Arbeiten, die nicht so dekorativ sind, noch in dem zarten
Licht feinster Nuancen flimmern. In seinen neuesten
Arbeiten betont er mehr die aus malerischen Fleckwirkungen
resultierende dekorative Art. □
□ Die neo-impressionistische Art zum Stil zu entwickeln,
bemühen sich in Deutschland zwei Künstler: Baum und
Curt Herrmann. Mit einer Gründlichkeit, die den Deutschen
eigen ist. Und darum erscheint in ihren Arbeiten die
Tendenz zum dekorativen Stil ausgeprägter. Die Franzosen
haben die Grazie des flüchtigen Moments, des Analytischen.
Diese Schönheit, der sie aus Wesensart treu bleiben, fehlt
den Deutschen, die konsequent sein wollen. Darum treffen
sie am schärfsten den modernen dekorativen Charakter des
Pointillismus. Sie sind künstlerisch vielleicht ärmer, stilistisch
aber bewußter und von diesem Standpunkt aus kräftiger,
insofern sie nur das eine Ziel sehen. Bei ihnen kann man,
ohne daß sie die Vollender sein werden, eine Neuschöpfung,
einen neuen Weg ahnen. Es kommt ihnen wahrscheinlich
zugute, daß sie in gutem Sinn kritische Benutzer sind, die
eine Technik, die sie übernehmen, zu einem Resultat führen.
Die Stilleben von Herrmann sind apart in den Farben, dabei
fest in der Form und von eindringlicher Wirkung, die das
Bild bei aller Zartheit als etwas Feines, Monumentales
geschlossen hinstellt. Dabei, — wie fein ist solch ein
Glas, eine dunkelviolette Schale, die Herrmann in Farben
erstehen läßt, wie leicht, und doch wie körperlich!1) Was
Herrmann für das Stilleben, das leistet Baum für die Land-
schaft. Seine holländischen Landschaften haben helle, lichte
Farbigkeit, nichts Unruhiges, bei flimmernder Helligkeit.
Eindrücklich steht das Bild da und strömt förmlich wie
eine Lichtquelle Helligkeit aus. Nichts Skizzenhaftes ist
darin. Und doch ist mit aller Schönheit die Wahrheit des
Moments suggestiv gebannt. Den Franzosen fehlt hier ein
Letztes, das Formbildende. Man halte diese in der gleichen
Technik gearbeiteten Bilder der Deutschen und der Fran-
zosen nebeneinander. Das stilbildende Element ist bei den
Deutschen. Die Franzosen sind die geborenen Impressio-
nisten; sie bringen es darin zu einer ungeahnt reichen
Kultur. Dem Moment aber innere Struktur zu geben, das
Geschehene gestalten, das setzt andere Anlagen voraus.
Das sind Erkenntnisse, keine Werturteile. Schon um des-
willen nicht, weil diese neue, stilbildende Art noch im
Werden ist, also Unvollendetes gibt, während die Franzosen
in ihrer Art schlechthin Vorbildliches gegeben haben. □

a 1) Curt Herrmann hat sich auch theoretisch in einem
lesenswerten, anregenden Buch über diese Probleme aus-
gesprochen. Es heißt: »Der Kampf um den Stil« und ist,
mit Abbildungen versehen, bei Erich Reiß, Berlin, erschienen.

(Schluß auf S. 116)
 
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