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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

DOI Artikel:
Schulze, Otto: Geschmacksbekundung als Lebensform
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0151

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DIE KUNSTGEWERBESCHULE IN ELBERFELD


Fachlehrer J. A. Loeber jr.: Pergamentbände
der obere gebatikt; der untere Durchbruchornament m. Seide unterlegt


Zweck; und gerade hierbei ist festzustellen, daß eben
doch nicht immer Kleider Leute machen, denn auch
die Kunst, Kleider zu tragen, will gelernt sein. Man
wird so wenig nur durch Kleider zur Dame, als auch
nicht durch einen schicken Reitanzug zu einem tüchtigen
Reiter, oder dadurch, daß man sich Locken wachsen
läßt und einen großen Hut, den Kalabreser, trägt, zu
einem Künstler. Man muß doch in eine solche Haut
auch geistig hineinwachsen, denn gerade Äußerlich-
keiten führen sehr leicht zu Geschmackslosigkeiten
und zur Karikatur. Ich will die Entgleisungen dieser
Herkunft nur streifen; unsere Moden sind noch immer
voll von solchen, sie bilden oft den Gipfel dieser
Zerrbilder. □
□ Man sollte nicht vergessen, daß alle, die uns sehen
und gegebenen Falles uns bewundern sollen, das Recht
haben, von uns Beweise eines anständigen, eines ge-
bildeten Geschmackes zu fordern; wir haben darin
viel größere Pflichten gegen andere als gegen uns.
»Wer will bauen an den Straßen, der soll die Leute
reden lassen,« ist doch ein arg müßiges und kultur-
feindliches Sprichwort. Schon heute gibt es Kunst-
ausschüsse in größeren Städten, die das Wort er-
greifen, bevor gewisse Dinge gebaut werden. Nicht
unsere Baukünstler allein, sondern die Allgemeinheit
trägt mit die große Verantwortung für die künst-
lerische Gestaltung unserer Straßen- und Platzbilder,
und damit des gesamten Stadtbildes. Es kommt nicht
letzthin darauf an, daß wir persönlich an unserem
Treiben, Handeln und Gestalten Gefallen und Wohl-
behagen empfinden, sondern vielmehr darauf, daß wir
der Außenwelt genüber damit bestehen. Geschmacks-
bekundung bleibt ein Persönlichkeitsdokument, und
wir bleiben dafür verantwortlich und haftbar, wenn
wir uns durch sie der Öffentlichkeit aussetzen, ganz
gleich, ob es sich dabei um unser Benehmen, unsere
Kleidung, unser Auto oder um ein Werk unseres
Geistes oder unserer Hände handelt. □
□ Das »savoir-vivre« und »comme il faut« des Fran-
zosen besagt ebenfalls das, worauf es dem Kernpunkte
unseres Themas nach ankommt. Also auf Lebensart
halten, die Umgangsformen wahren, alles seinem Wesen
nach ordentlich, wie es sich gehört. Würde ich nun
aber in weiterem Ausbau meiner Hinweise anfangen,
die Geheimnisse und Rezepte des guten Geschmackes
zu offenbaren, so wüßte ich kaum wo beginnen, wo
aufhören. Das schöne Wort »Eins schickt sich nicht
für Alle« und das andere »Wenn zwei dasselbe tun,
so ist es nicht dasselbe«, sind schon in gewissem
Sinne kleine Dämpfer für das laute Anpreisen von
Schönheitsregeln. Ich selbst glaube kaum, daß es
mir gelingen dürfte, hier mehr als eine Kostprobe
des guten Geschmackes bieten zu können. Es klingt
alles scheinbar ganz hübsch, und man gefällt sich
darin, den guten Geschmack irgendwo nach bestimmten
Regeln fesfgelegt zu haben, um doch schließlich ein-
zusehen, daß wir davon nur eine banale Phrase oder
ein zeitliches Modekörnchen schluckten. □
d Der Geschmack ist eben persönlichem, örtlichem
und zeitlichem Wandel unterworfen, nebenbei von so
wechselnden Stimmungen und Umständen abhängig,
daß hier füglich kaum von einem deutschen Ge-
 
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