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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Kunstgwerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0187

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

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Kunstgewerbe- oder Handwerkerschule, 25°/0 haben neben
ihrer Atelierlehre nur Abendunterricht an einer dieser
beiden Schularten erhalten, während das letzte Viertel über-
haupt nur im Atelier ausgebildet wurde. Diese Lehre in
den Zeichenateliers, besonders in der Textilindustrie, ist
in den meisten Fällen die denkbar schlechteste. Die künstle-
rische Erziehung der Lehrlinge wird fast überall ganz und gar
vernachlässigt. Es war daher durchaus am Platze, daß der
»Zeichnertag« gerade diese Frage behandelte. □
□ Das Referat für die Tagung hatte der Direktor des
Leipziger Kunstgewerbemuseums, Prof. Rieh. Graul über-
nommen. Er sprach über »Die moderne Kunst und die
Aufgaben der Musterzeichner«. Er führte aus, daß seine
Einsicht in die Schicksale des Zeichnerberufes aus eigener
Tätigkeit ihn habe die heutige kümmerliche Lage der
Musterzeichner klar erkennen lassen. Sie ist um so be-
dauerlicher weil wir vor großen Aufgaben stehen, deren Er-
füllung einen gutgestellten Musterzeichnerstand erfordert. —
Die historische Entwickelung zeigt uns für die Gründung
der Kunstgewerbeschulen zahlreiche Einflüsse auf das Kunst-
gewerbe. Wie eine Mode kam und verschwand der »Jugend-
stil« und langsam entwickelte sich das konstruktive Schaffen,
das den ornamentalen Schmuck eine Zeitlang in den Hinter-
grund drängte. Jetzt wieder sahen wir, wie sich die Freude
am Ornament wieder breitmacht. — Das Kunstgewerbe
wird von den Strömungen der großen Kunst unausgesetzt
beeinflußt und die Zeichner sind diesen Einflüssen, die
manchmal recht nachteilig sind, stark ausgesetzt. So z. B.
heute den Sensationen der Futuristen und Kubisten. Wohl
mögen in ihrer Kunst Reize von künstlerischem Werte
stecken, aber alle impressionistischen Modetorheiten hindern
die gesunde Entwickelung des Kunstgewerbes. Seit der
großen Dresdener Ausstellung 1906 haben wir ein kunst-
gewerbliches Ideal, das wir der Erneuerung der Architektur
zu danken haben. Das Publikum ist freilich in seinen An-
schauungen noch nicht gefestigt und läßt sich durch alles
beeinflussen, was ihm geboten wird. Darum gerät auch
der Zeichner immer wieder unter die Botmäßigkeit des
Industriellen. Was erstrebt werden muß, ist eine große,
allgemeine Formkultur, wie sie der »Werkbund« propagiert.
Ihr müssen dieMusterzeichnerdienen, und es ist zu wünschen,
daß ihre Erziehung darauf eingestellt wird. Nur wenn sie,
durch vorübergehende Modeerscheinungen unbeeinflußt,
darin aushalten, werden sie auch imstande sein, ihre künstle-
rischen Aufgaben zu lösen. o
□ In der anschließenden Diskussion gab zunächst der Ver-
bandsvorsitzende Hermann Weiß eine Darstellung der trau-
rigen Berufsverhältnisse des weitaus größten Teiles der
Kunstgewerbezeichner. Es herrscht ein erschreckendes Über-
angebot von Arbeitskräften im ganzen Berufe. Die fort-
schreitende Arbeitsteilung spezialisiert und mechanisiert die
Arbeit der Zeichner. Eine eigene künstlerische Initiative
können sie nur in den allerseltensten Fällen entfalten, die
Freude am Schaffen geht ihnen vollständig verloren. Be-
sonders schlimme Verhältnisse in bezug auf die Ausbildung
herrschen in einzelnen Branchen der Textilindustrien. Dort
findet man die übelste Lehrlingszüchterei; nach Bildung und
Talent des Lehrlings wird gar nicht erst gefragt. Die Lehr-
linge sind sich selbst überlassen und bekommen höchstens
die für die ganze einseitige Teilarbeit nötigen technischen
Handgriffe gelehrt. — Auch das Schulwesen ist, noch sehr
ausbaufähig, vor allem müssen die privaten Fachschulen
mit ihren Auswüchsen aufs Korn genommen werden. —
Die anwesenden Schulmänner beteiligten sich sehr lebhaft an
der Aussprache. Insbesondere wies Herr Direktor Prof.
Forkel auf die Verhältnisse in Plauenschen Ateliers hin,

wo die Ateliervorstände manchmal gar keine Zeichner sind.
Dort wird als Lehrling aufgenommen, wer sich nur über-
haupt meldet, und es ist vorgekommen, daß die Jungens
im Zeichnen die Zensur 4 oder 5 hatten. Es müßte das vor-
nehmste Streben sein, nur zeichnerisch wirklich gut begabten
jungen Leuten den Eintritt in den Beruf zu ermöglichen.
□ Herr Direktor Thiele empfahl den Zeichnern, durch ge-
eignete Maßnahmen für eine umfassende Aufklärung über
die bestehenden Verhältnisse im Zeichnerberufe zu sorgen.
□ Der Vorsitzende konstatierte in seiner Zusammenfassung
am Schlüsse der Tagung folgendes Ergebnis der Verhand-
lungen: D
□ Durch die Tagung ist die allgemeine Erziehungs- und
insbesondere auch die Schulfrage für die Kunstgewerbe-
zeichner aufgerollt worden. Sie muß weiter behandelt
werden. Es ist zunächst nötig, daß unter den, in die
Schulen und Ateliers eintretenden Anwärtern des Berufes
eine scharfe Auslese nach ihrer besonderen fachlichen und
künstlerischen Befähigung getroffen wird. Hand in Hand
damit muß fortgesetzt eine energische, durch geeignete Auf-
klärungen über die Berufsverhältnisse unterstützte Warnung
vor dem Ergreifen des Zeichnerberufes erlassen werden.
Die Lehrlinge in den Zeichenateliers müssen während ihrer
Lehrzeit eine Kunstgewerbe- oder Fachschule besuchen und
eine gute, allgemeine künstlerische Ausbildung in ihrem Berufe
erhalten. Für die in der Berufspraxis stehenden Zeichner sind
an den Schulen geeignete Kurse zur ständigen künstlerischen
Weiterbildung einzurichten, um eine gegenseitige Befruch-
tung von Schule und Praxis zu ermöglichen. Die privaten
Fach- und dergleichen Schulen sind, soweit sie das Überange-
bot ungenügend und schlecht ausgebildeter Zeichner (das
ist heute bei fast allen privaten Schulen der Fall) fördern,
zu bekämpfen. n. w.


Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwag, Berlin-Zehlendorf
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., g.m. b. h., in Leipzig
 
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