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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

DOI Artikel:
Elster, Alexander: Über die Bedeutung der Mode im Wirtschaftsleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0217

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210

DIE MODE IM WIRTSCHAFTSLEBEN

die Ausbreitung des Bedürfnisses, die Erzeugung eines
Massenbedürfnisses sich angelegen sein ließ. Er suchte
den Konsum zusammenzufassen, zu vereinheitlichen und
auszubreiten; denn die Mode als Massenerscheinung setzt
voraus, daß die betreffende Ware auch Gegenstand der
Massenproduktion werden kann, — und Massenproduktion
ist es ja, was den Kapitalismus von jeher angelockt hat
und unter seinen Fittichen groß werden kann. Dazu kommt,
daß dank ihrer sozialen Tendenzen jede neue Mode-
erscheinung, die zuerst in kostbarem Material hergestellt
wird, sehr rasch Surrogate hervorruft, weil die weniger
bemittelten Klassen die von den besser gestellten lancierten
Moden nachzuahmen wünschen und dadurch glauben, sich
in die höhere Gesellschaftsschicht einzuspielen, und wäre
es auch nur nach der äußeren Erscheinung hin. Dieser
soziale Kleinkrieg, der auf dem Gebiet der Mode dauernd
geführt wird, der zwischen sozialer Differenzierung und
Nachahmung dauernd hin und her schwankt, ist das eigent-
liche wirtschaftliche Kennzeichen der Mode und eben damit
die gesicherte Grundlage der kapitalistischen Ausnützung.
Denn hier treibt ja ein Keil den anderen von Saison zu
Saison. Man befindet sich in einem dauernden Stadium
der Anpassung, der Aufregung und des Spieles mit Ideen
und Waren, und trotzdem gilt es dabei durchaus nicht
immer, der Kühnste und Schnellste zu sein, sondern nur
der Produzent trägt mit seiner Neuschöpfung den Sieg
davon, der im Besitz des sicheren Gefühls für den ton-
angebenden Geschmack ist, der immer gerade um eine
Jahreszeit den Geschmack der (meist erotisch!) tonangeben-
den Kreise vorauszuahnen und in eine Form zu bringen
vermag. °
□ Damit erledigt sich, auch die Frage, die man schon oft
aufgeworfen hat, ob der Produzent und der Händler, oder
ob der Konsument die Mode macht. Nun, keiner von
beiden macht die Mode allein, aber diejenigen Beurteiler,
die die Rolle des letzten Konsumenten, also des Publikums
dabei unterschätzt haben, sind im Irrtum. Wir haben
genug Beispiele, daß das Publikum die noch so energisch
lancierten Schöpfungen von Poiret, Paquin und anderen
abgelehnt hat, so daß nur Mannequins, Bühnendamen und
die grande Cocotte kurze Zeit beispielsweise den Hosen-
rock trugen. Der schon vor zwei Saisons totgesagte kurze
Ärmel hält sich noch hartnäckig, weil er so praktisch und
den Damen angenehm ist. Es ist da ein gegenseitiges
Ineinanderarbeiten, ein Kompromisseschließen, wobei natür-
lich eine gewisse Kühnheit des Herstellers und Verkäufers
die Wege weist und das Publikum bis zu einem gewissen
Grade mit sich fortreißt, wobei aber nie mit ganz sicheren
Ergebnissen gerechnet werden kann, wie es vielmehr alle
Tage vorkommt, daß eine Mode glattweg abgelehnt wird
und das darin bereits niedergelegte Kapital zurzeit ver-
loren ist. Dann geht es an eine fieberhafte Neumusterung
in der betreffenden Industrie. Man weicht mutig einen
Schritt zurück, um dann auf der neuen Linie zu siegen.
Beweglichkeit des Wirtschaftslebens und Beweglichkeit des
Geistes sind naturgemäß Folgen dieses raschen Güter-
flusses. Werte stehen da auf dem Spiel, die von der so-
genannten Launenhaftigkeit der Mode abhängen, und doch
liegt tiefer Sinn in diesem scheinbar kindischen Spiel.
Fabriken, die sich auf einen bestimmten Modeartikel fest-
gelegt haben, müssen toujours en vedette sein, müssen
gerade auf dem Gipfel der Konjunktur daran denken, daß
sie kurz darauf ihre ganze Fabrikation ändern, ja womög-
lich einem neuen Gegenstand zuwenden müssen, wenn
sie nicht urplötzlich durch den Wechsel der Mode ruiniert
sein wollen. Bandfabriken, Knopffabriken, die Industrie
der künstlichen Blumen, der Spitzen, Stickereien und viele
andere mehr sind solchem Risiko unterworfen, und es ist

nicht zu leugnen, daß auf diese Weise nicht selten dem
Wirtschaftsleben empfindliche Schlappen beigebracht und
große Verluste zugefügt werden. □
□ Aber andererseits wird der Export zu einem wichtigen
Mittel der Risikoausgleichung. Die Leiter der Produktion
werden vor immer neue Aufgaben gestellt, und es kommt
ein frisches freudiges Darauflosarbeiten in das Ganze hinein,
welches oft genug so mächtig wird, daß es hie und da
doch Moden diktiert oder durch einen glücklichen Ge-
danken neue Modeerscheinungen ins Leben ruft. So war
es beispielsweise bei der Verbreitung gestickter Sonnen-
schirme der Fall, als einmal die Stickereiindustrie mit den
bis dahin fabrizierten Kleiderbesätzen Schiffbruch erlitt und
nun rasch etwas Neues suchen mußte. n
o Natürlich hat dieses Hasten und Treiben, welches sich
vornehmlich auf gesteigerte Saisonarbeit konzentriert und
daneben recht ausgedehnte stille Zeiten kennt, wenig an-
genehme Wirkungen für die in der Saisonindustrie Be-
schäftigten. Arbeitslosigkeit und das Elend der Heimarbeit
sind das Ergebnis dieser Erscheinung. Denn ohne die
Kräfte der Heimarbeit, die in den stillen Zeiten abge-
schoben und in der Saison in verstärktem Maße heran-
gezogen werden, könnte die Modeindustrie nicht aus-
kommen. Daran ist die Mode also zum großen Teil
schuldig. Andererseits bietet diese aber auch gerade solchen
zahlreichen Frauen und Halbarbeitsfähigen Arbeitsgelegen-
heit, die nicht das ganze Jahr hindurch in die Fabrik gehen
wollen und ganz gern einmal auf kurze Zeit gesteigerten
Verdienst mitnehmen, während sie im übrigen ihrem Haus-
halt mit mehr Neigung vorstehen. □
□ Übrigens werfen im allgemeinen die Mode- und Luxus-
industrien einen ganz guten Gewinn ab und erfüllen in-
sofern eine beachtenswerte volkswirtschaftliche Funktion.
Es darf auch nicht übersehen werden, daß zahlreiche durch
den Modewechsel entwertete Gegenstände noch in brauch-
barem und nützlichem Zustand den unbemittelten Klassen
billig zugänglich gemacht und sehr vielfach verschenkt
werden. Große Kreise dienender Personen kleiden sich
unentgeltlich mit den Sachen, die, ohne abgebraucht zu
sein, ihnen von den Herrschaften geschenkt werden. □
□ Man mag aber die günstigen oder ungünstigen Wir-
kungen stärker betonen oder die Bilanz der Mode so oder
so ziehen, Tatsache ist doch wohl, daß sie aus dem Wirt-
schaftsleben nicht mehr ausgeschaltet werden kann und
daß die Bestrebungen, sie auszuschalten, bis jetzt jeden-
falls ohne Erfolg geblieben sind. Denn wenn auch bei-
spielsweise die Vereinigungen zur Verbesserung der Frauen-
kleidung, von der hier in erster Linie die Rede sein muß,
für naturgemäße Bekleidungsformen und für eine ver-
nünftigere Gestaltung der äußeren Erscheinung eintreten,
so ist es wohl möglich, daß diese Bestrebungen zu einer
Läuterung des Geschmackes führen. Daß sie aber den
Wechsel ausschalten oder erheblich verringern werden, er-
scheint mir doch durchaus fraglich, weil eben die oben
betonten massenpsychologischen Erscheinungen, das ero-
tische Moment, der Trieb der Nachahmung und der Trieb
sozialer Differenzierung so tief in der menschlichen Seele
begründet liegen, daß die Vernunft über sie wohl kaum
den Sieg davon tragen wird. Gelänge dies allerdings,
dann würde von der Mode im engeren Sinne und ihrem
so starken und flammenden Einfluß auf das Wirtschafts-
leben nicht mehr die Rede sein, und es würde in der
eigentlichen Modeindustrie genau so zugehen wie in den-
jenigen Gewerbszweigen, die es nur mit einer langsamen
Wandlung, Besserung und Läuterung des Geschmackes zu
tun haben, und die, wie beispielsweise das Kunstgewerbe
im weiteren Sinne, ihre Wandlung in den größeren Wellen
der ästhetischen Anschauung begründet finden. a
 
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