NEUE ARCHITEKTUR UND RAUMKUNST IN PRAG
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n Daß dieses Neue aus einem Fleck Landes kommt,
wo man es nicht leicht vermutet hätte, hängt viel-
leicht damit zusammen, daß Neuerungen entweder
auf einem stark tätigen Kulturboden und im Zu-
sammenhang mit ihm entstehen, oder aber abrupt,
gleichsam als Einzelwesen dort auftauchen, wo keine
gebundene Kultur einem elementaren Schaffen die
Bahn vorschreibt. In Prag scheint mir der zweite
Fall vorzuliegen. Ein Volk, das keine starke eigene
Tradition bindet, hat sich leicht von Grund auf
Anregungen hingegeben, die auf dem Mutterboden
durch Umstände noch lange nicht fruchtbar ge-
macht sind. n
□ Das Bild der Architektur von Prag wird, so weit
nicht die alten Bauten in Betracht kommen, von zwei
Faktoren bestimmt. Den weitaus größten Raum nehmen
die bis zum Barbarismus gesteigerten Scheußlichkeiten
der wohlbestallten Stadtbaumeister ein. Das ist hier
um so mehr zu bedauern, als nicht oft in der Bau-
geschichte einer Stadt die Gelegenheit wiederkehrt,
einen ganzen Stadtteil mit einemmal neu aufzurichten,
wie dort vor wenigen Jahren. Die reizvollsten Probleme
ergaben sich für eine junge fruchtbare Baugeneration
schon dadurch, daß beim Niederreißen des alten Stadt-
viertels historische und denkwürdige Bauten und An-
lagen geschont wurden und das Neue nun im Hin-
blick auf diese kostbaren Monumente hätte entstehen
müssen. Es ist ein Jammer, zu sehen, was entstand.
Es könnte in jeder Richtung zum Gegenbeispiel dienen.
Im selben »Stil« wurde für viele Millionen gleich-
zeitig das berühmte und berüchtigte tschechische
Repräsentantenhaus erbaut, und hier liegt das Unglück
auch noch darin, daß der daran grenzende prachtvolle
gotische Pulverturm nicht nur durch die Umgebung
der Häßlichkeit litt, sondern direkt durch eine Ver-
bindung und einen Anbau damit in Zusammenhang
gebracht wurde. □
□ Vielleicht ist schon durch den täglichen Anblick
so vieler kaum mehr gut zu machender Sünden in
den Jungen der Impetus zu etwas Neuem gewachsen.
Vielleicht hat der Protest dagegen die schöpferischen
Kräfte angeregt und vermehrt. □
o Neben diesen furchtbaren Auswüchsen steriler
Bauunternehmerkunst existiert aber noch eine starke
Strömung, die durch Otto Wagner bestimmt und
durch seine Schüler weiter verbreitet wurde. Von
malerisch-naturalistischen Anfängen bis zu den strengsten
Zweckbauten gibt es hier Beispiele. Zarsche auf
deutscher Seite und Kotera auf tschechischer haben
hier Werke geschaffen, die beweisen, daß Kräfte genug
vorhanden waren, um die großen Lücken, die durch
die Assanierung der Josefstadt in den Stadtkomplex
geschlagen wurde, mit Bauten zu füllen, deren sich
eine Zukunft nicht hätte schämen müssen. □
□ An diese gute Tradition knüpfen nun die Jungen an.
□ Josef Gocär, den immer tätigen Mann, kann man
als stark produktive Kraft, Pavel Jatiäk als den Spiritus
rector bezeichnen, der die neue Richtung nicht nur
durch seine Arbeiten, sondern auch durch die
Organisation der Bewegung, vor allem aber durch
Aufstellung und Vereinheitlichung der Theorien ge-
festigt hat. Um diese beiden soll es sich hier vor-
nehmlich handeln, auf die andern, Hofmann, Chochol
und die zur Gruppe gehörenden Maler kann ich ein
anderes Mal zu sprechen kommen. □
□ Man braucht die Leitsätze der ausgehenden Schaffens-
periode nur in ihren Gegensatz zu verkehren und hat
bis auf wenige Beigaben die Neuen. »Wir wollen
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n Daß dieses Neue aus einem Fleck Landes kommt,
wo man es nicht leicht vermutet hätte, hängt viel-
leicht damit zusammen, daß Neuerungen entweder
auf einem stark tätigen Kulturboden und im Zu-
sammenhang mit ihm entstehen, oder aber abrupt,
gleichsam als Einzelwesen dort auftauchen, wo keine
gebundene Kultur einem elementaren Schaffen die
Bahn vorschreibt. In Prag scheint mir der zweite
Fall vorzuliegen. Ein Volk, das keine starke eigene
Tradition bindet, hat sich leicht von Grund auf
Anregungen hingegeben, die auf dem Mutterboden
durch Umstände noch lange nicht fruchtbar ge-
macht sind. n
□ Das Bild der Architektur von Prag wird, so weit
nicht die alten Bauten in Betracht kommen, von zwei
Faktoren bestimmt. Den weitaus größten Raum nehmen
die bis zum Barbarismus gesteigerten Scheußlichkeiten
der wohlbestallten Stadtbaumeister ein. Das ist hier
um so mehr zu bedauern, als nicht oft in der Bau-
geschichte einer Stadt die Gelegenheit wiederkehrt,
einen ganzen Stadtteil mit einemmal neu aufzurichten,
wie dort vor wenigen Jahren. Die reizvollsten Probleme
ergaben sich für eine junge fruchtbare Baugeneration
schon dadurch, daß beim Niederreißen des alten Stadt-
viertels historische und denkwürdige Bauten und An-
lagen geschont wurden und das Neue nun im Hin-
blick auf diese kostbaren Monumente hätte entstehen
müssen. Es ist ein Jammer, zu sehen, was entstand.
Es könnte in jeder Richtung zum Gegenbeispiel dienen.
Im selben »Stil« wurde für viele Millionen gleich-
zeitig das berühmte und berüchtigte tschechische
Repräsentantenhaus erbaut, und hier liegt das Unglück
auch noch darin, daß der daran grenzende prachtvolle
gotische Pulverturm nicht nur durch die Umgebung
der Häßlichkeit litt, sondern direkt durch eine Ver-
bindung und einen Anbau damit in Zusammenhang
gebracht wurde. □
□ Vielleicht ist schon durch den täglichen Anblick
so vieler kaum mehr gut zu machender Sünden in
den Jungen der Impetus zu etwas Neuem gewachsen.
Vielleicht hat der Protest dagegen die schöpferischen
Kräfte angeregt und vermehrt. □
o Neben diesen furchtbaren Auswüchsen steriler
Bauunternehmerkunst existiert aber noch eine starke
Strömung, die durch Otto Wagner bestimmt und
durch seine Schüler weiter verbreitet wurde. Von
malerisch-naturalistischen Anfängen bis zu den strengsten
Zweckbauten gibt es hier Beispiele. Zarsche auf
deutscher Seite und Kotera auf tschechischer haben
hier Werke geschaffen, die beweisen, daß Kräfte genug
vorhanden waren, um die großen Lücken, die durch
die Assanierung der Josefstadt in den Stadtkomplex
geschlagen wurde, mit Bauten zu füllen, deren sich
eine Zukunft nicht hätte schämen müssen. □
□ An diese gute Tradition knüpfen nun die Jungen an.
□ Josef Gocär, den immer tätigen Mann, kann man
als stark produktive Kraft, Pavel Jatiäk als den Spiritus
rector bezeichnen, der die neue Richtung nicht nur
durch seine Arbeiten, sondern auch durch die
Organisation der Bewegung, vor allem aber durch
Aufstellung und Vereinheitlichung der Theorien ge-
festigt hat. Um diese beiden soll es sich hier vor-
nehmlich handeln, auf die andern, Hofmann, Chochol
und die zur Gruppe gehörenden Maler kann ich ein
anderes Mal zu sprechen kommen. □
□ Man braucht die Leitsätze der ausgehenden Schaffens-
periode nur in ihren Gegensatz zu verkehren und hat
bis auf wenige Beigaben die Neuen. »Wir wollen
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