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zu gebrauchen: man fordert, daß Kunstvereins-
ausstellungen etwa beschaffen seien wie Famiüen-
zeitschriften gegenüber Kunstzeitschriften, sie sollen
so eine Art Familienausstellungen sein, in die
man auch seine unerwachsenen Kinder mitnehmen
kann. Wie aber wirklich Kinder Kinderbücher
lesen sollen und nicht Familienzeitschriften, so
soll ihre künstlerische Anschauung auch an ge-
eigneterem Material gebildet werden als an dem
bunten, das kindliche Anschauungsvermögen nur
verwirrenden Material einer Kunstausstellung. Die
Steindrucke, die bei Teubner und Voigtländer in
Leipzig erscheinen, sind der allein geeignete An-
schauungsstoff für das kindliche Auge. Der aus
der kindlichen Anschauung herausgewachsene
Mensch aber kann und darf jede Form von Kunst-
äußerung sehen, ja er muß es sogar — sei es
auch nur mit dem Erfolge, daß er vor einem
Kunstwerke ästhetische Befriedigung oder ästhe-
tisches Mißbehagen feststellt. Wenn wir die Be-
sucher unserer Kunstvereinsausstellungen erst so-
weit zum vorurteilsfreien Herantreten an ein Kunst-
werk erzogen hätten, wie dies in den sogenannten
großen Kunstausstellungen oder in den Aus-
stellungsveranstaltungen der Kunsthändler der Fall
ist, so zerfiele ohne weiteres die berechtigte Klage
des Hofrats Brodersen in nichts, daß die Kunst-
vereine gerade mit dem wertvollsten Teile der
deutschen Künstlerschaft nur in ganz loser Füh-
lung stehen.

Dann wäre aber auch weiter zu erhoffen, daß
die Verlosungsankäufe auf ein höheres Niveau
gestellt werden könnten. Die Direktoriumsmit-
glieder der Kunstvereine haben — von einigen
Ausnahmen abgesehen — alles andere eher als
ein ästhetisches Behagen an der Form, in der
jetzt noch die Ankäufe vollzogen werden müssen.
Sie würden nur sehr wenige von den Bildern,
die sie zur Verlosung unter den Mitgliedern ihrer
Vereine erwerben, im eigenen Haus aufhängen.
Auch hier wieder entscheidet der kleinliche Pub-
likumsgeschmack zu Ungunsten aller künstlerischen
Absichten der Kunstvereinsleitungen. Was nützt
alle künstlerische Aufklärungsarbeit, wenn man
nicht bereit ist, von allen Vorurteilen zu lassen,
wenn man nicht den Willen zei^t, neuen Schön-
heiten zugänglich zu sein, welche die Kunst für
uns entdeckt. Man glaubt garnicht, wie groß
die Zahl der Menschen noch heute ist, denen

eine von der Natur gemalte Landschaft, ein un-
geschmeicheltes Bildnis, ein naturalistisch wieder-
gegebener Akt ein künstlerischer Greuel ist!

Hier liegt der Kern der Fruchtlosigkeit der
Kunstvereinsarbeit. Es muß die Verpflichtung
für die Leitung der Kunstvereine wegfallen, nur
solche Bilder auszustellen und zur Verlosung an-
zukaufen, die sich auf der Geschmackslinie des
sogenannten großen Publikums befinden. Hof-
rat Brodersen hat ganz Recht, wenn er die For-
derung erhebt: „Jeder Vorstand oder Leiter eines
Kunstvereins soll nach bestem Vermögen bestrebt
sein, möglichst gute Bilder zur Ausstellung zu
bringen und, was noch viel wichtiger ist, schlechte
Bilder fernzuhalten. Er muß den Mut haben,
diese zu refüsieren, auch wenn sie die Tochter
des Bürgermeisters zum Urheber haben."

Freilich sind auch die Künstler — die guten
nämlich — selbst mit Schuld daran, wenn das
Niveau der Kunstvereine, wenn überhaupt, nur
langsam steigt. Sie schätzen gemeinhin die Kunst-
vereinsausstellungen als Tummelplatz der Halb-
talente ein und beschicken von selbst diese Aus-
stellungen so gut wie nicht. Nun soll ja eine
Kunstvereinsleitung gewiß nicht abwartend da-
sitzen und sich auf die Angebote verlassen, die
sie erhält; aber andererseits soll auch der akkre-
ditierte Künstler nicht erst dann zur Beschickung
von Kunstvereinsausstellungen bereit sein, wenn
er darum angegangen wird, sondern er soll ihnen
in geeigneten Fällen Angebote machen, wie er
den Kunsthändlern Angebote macht. Ist es
schon richtig, wenn er sagt: „Meine Kunst muß
nach Brot gehen! Beim Kunsthändler habe ich
eher die Möglichkeit, meine Kunstwerke zu ver-
kaufen als bei einem Verein," so muß er doch
andererseits versuchen, den Verein zu einem tat-
kräftigen Mitarbeiter für seine Verkaufsabsichten
zu machen, denn auch in den Kunstvereinen
regelt sich die Nachfrage nach dem Angebot;
wenn uns die akkreditierten Künstler reichlich
s;enuo- Werke zum Verkauf anvertrauen, so ver-

DD '

schwindet zunächst einmal der Überfluß von
Arbeiten der kleineren Talente und der wirklichen
Halbtalente, was einer Erhöhung des künstlerischen
Niveaus unserer Ausstellungen gleichkommt; weiter
wird der Geschmack unserer Ausstellungsbesucher
verbessert, und endlich werden denA^ereinen aus den
Provisionsgeldern Mittel für ihre Zwecke zugeführt.
 
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