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Belgien und Holland, während in unseren Museen
die deutsche Kunst zuletzt kommt. Unsere deut-
schen Museen und Galerien sind in ihrem äußeren
Bau ein Abklatsch akademischer Kunst, die sich
auf ausländische Kunstrichtungen stützt, und in
ihrem Innern mit fremden Kunstschöpfungen
angefüllt. So enthalten beispielsweise die Säle
des Kaiser-Friedrich-Museums in Berlin italienische
Malerei und Plastik, während von älteren deut-
schen Kunstschöpfungen nur ganz kümmerliche
Erzeugnisse vorhanden sind. Das größte deut-
sche Malgenie Matthias Grünewald hat dort
keine Heimstätte erhalten können, trotzdem zwei
vortreffliche Bilder desselben, die früher in der
Sammlung Habich in Cassel gewesen, zum Er-
werb angeboten wurden. Berlin hat den Ankauf
abgelehnt, ebenso Nürnberg. Schließlich hat sich
dann Karlsruhe bereit gefunden, beide Werke
für 40000 Mk. zu erwerben. Auf die Vernach-
lässigung der deutschen Kunst in Berlin wirft
dieses und vieles andere ein grelles Licht.

Süddeutsche Sammlungen sind erheblich reicher
an deutschen Kunstprodukten als die der Reichs-
hauptstadt. In ganz Deutschland mit Einschluß
von Oesterreich und der Schweiz gibt es kein
einziges Museum, das die deutsche Kunst in
angemessener Weise zur Darstellung bringt. Auch
an den 21 deutschen Universitäten bekommt
der Student über nationale Kunst und deut-
sche Kunstdenkmäler wenig oder nichts zu
hören. Das Studium der alten germanischen
Kultur, der deutschen Altertumskunde wird nirgends
gepflegt".

Von den Hochschulen crin£ Prof. Bock auf
die höheren Schulen über und konstatierte, daß
überall die Überschätzung der fremden Antike,

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des Italismus und der Renaissancekultur wahr-
zunehmen sei. Die deutsche Kunst stehe überall
zurück. Die Ursache liege darin, daß in Deutsch-
land seit dem 16. Jahrhundert von den Hoch-
schulen eine fremde humanistische Bildung zu uns ge-
kommen sei, die eine antinationale, antichristliche
und eine antimoderne Bildung croßo-ezosren habe.

Es steht wohl außer Zweifel, daß eine Besse-
rung der Verhältnisse, namentlich was die Stellung
des auslandlüsternen Publikums zu den Werken
der Kunst anbetrifft, am ehesten von einer
„nationalen Kunsterziehung" ausdrehen würde;
dem Schüler muß schon von früh auf die Hoch-
achtung vor dem eigenen Kunstschaffen seines
Volkes eingeprägt sein. Die Einzelheiten einer
solchen Kunsterziehung müßten freilich von einer
Gruppe erlesener Persönlichkeiten erst festgelegt
werden. Auf diese Weise aber würde sich wenis;-
stens allmählich eine bessere Erkenntnis von
unseren Kunstleistungen Bahn brechen. Der
andere treibende Faktor aber läge naturgemäß
beim bildenden Künstler selbst. Ihm bleibt die

Eroberung des schwer bedrohten Feldes zunächst
vorbehalten, und wenn er sich zuerst frei macht
von ausländischen Verlockungen und Einflüssen,
wird auch mit der Zeit die Masse nachfolgen.

Nach dieser Richtung hin ist ein kürzlich in
den „M. N. N." erschienener Artikel von Kurt
Martens sehr bemerkenswert, betitelt „Kunst
und Vaterland." Aus diesem Aufsatz, der
hoffentlich auch seine Wirkung üben wird, werden
einige wichtigere Auszüge interessieren. Martens
schreibt: „Das sich die deutschen Künstler, und
zwar die besten unserer Zeit, weit mehr als
Künstler denn als Deutsche fühlen, wird oft
genug beklagt, ist aber nicht verwunderlich. Das
künstlerische Schaffen, das mit der patriotischen
Phrase nichts gemein hat noch haben darf, wird
ihnen vom deutschen Vaterland nicht immer
leicht gemacht. Damit ist aber das vaterländische
Gefühl in seiner ursprünglichen Reinheit und
elementaren Kraft den meisten Künstlern leider
verloren gegangen. . . . Internationale Einflüsse
kamen hinzu, aus England und Frankreich für

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die Malerei, aus Rußland und Skandinavien für
die Dichtkunst, und auf lange hinaus lag das
weite, fruchtbare Gebiet der vaterländischen Motive
brach für die hohe Kunst; nur Unkraut wucherte.

Nun darf man nicht übersehen, daß Vater-
landsliebe ein Masseninstinkt ist, also in Formen
sich zu äußern pflegt, die künstlerischem Fein-
gefühl sehr oft zuwider sein werden. Um die
„Feinheit" der Gefühle in ihren letzten Veräste-
lungen drehte sich schließlich die ganze moderne
Kunst. Fast scheint es, als wäre dieser Bora
nun ausgeschöpft. In der Malerei wenigstens,
deren jüngste Ausläufer wenn auch nicht gerade
auf den Hund, so doch auf den „Blauen Reiter"
gekommen sind, erklingt der Ruf nach Monu-
mentalität schon wieder sehr vernehmlich, und
was könnte monumentaler wirken als die Dar-
stellung von Gefühlen, die in stürmischem Rhvth-
mus ein ganzes Volk bewegen! Da sehen wir
schon mancherlei Anfänge in der Malerei, der
Plastik, der Architektur und der Dichtkunst, auch
schon spärliche Keime einer persönlich gefärbten,
unter herben Formen versteckten leidenschaft-
lichen Vaterlandsliebe. Freilich das patriotische
Mittelgut überwiegt noch immer bedenklich, doch
muß man anerkennen, daß sein Niveau sich hebt.
Gerade auf diesem heiligen Boden, wo Seicht-
heit und Routine so unendlich viel gesündigt
haben, ist strengste Auslese geboten.

Unsere nationale Kunst, von der die vater-
ländische der kräftigste Zweig, hat eine so glän-
zende Geschichte, daß es ein Jammer wäre, wenn
es für immer mit ihr zu Ende sein sollte. Man
denke an den Straßburger Münster, den der
junge Goethe als eins der größten deutschen
Werke pries, an die grollenden Patriotenverse
 
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