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Jahre der Umschwung im Kunstgewerbe mit dem
Suchen nach einem neuen Stil einsetzte. In
dem Programm der dem Kunstgewerbe sich zu-
wendenden Künstler stand das Wort von der
Materialechtheit und Materialschönheit an erster
Stelle hinter dem ominösen Ausdruck „Material-
stil". Man glaubte durch Verwendung von
gutem reinem Material dem Kunstgewerbe zur
Gesundung helfen zu können und wählte dazu
möglichst sinnfälliges, d. h. Gesichts- und Tastsinn
reizendes Material. Dies Bestreben hatte auch
Parallelen in den freien Künsten. Man erinnere
sich, daß damals Klinger seine ersten Skulpturen
schuf, die aus kostbaren bunten Steinsorten
zusammengesetzt waren. Gleichzeitig malte Klimt
in Wien Bilder, leuchtend und schimmernd wie
Opal und Silber, Elfenbein und Ebenholz, die
nichts anderes als der Niederschlag der Wiener
kunstgewerblichen Richtung sind. Und dann
ertönte der laute Ruf nach Farbe, Farbe in der
Kleidung, Farbe im Innenraum, Farbe in der
Architektur. In München wurde die auf dem
Lande noch lebende alte Bauernkunst wieder
modern und gestaltete „das Heim des kleinen
Mannes" im Geiste der derb und bunt bemalten
bäuerlichen Schreinermöbel, und Riemerschmid
suchte diese in dem einfachen Akkord von
Blau-Grün-Rot sich bewegende Festdekorations-
kunst durch einige Nüancierungen gesellschaftsfähig
zu machen. In den letzten Jahren bat überall in
Deutschland die Intensität der Farbe in der Deko-
ration von Innenräumen zugenommen, ja sie ist ins
Grelle gesteigert worden. Wo soll das hinführen?

Von dieser farbenliebenden Tapeziererkunst ist
die Münchener Malerei, die schon seit Makart
ins Dekorative abgeschwenkt war, beeinflußt
worden, ja selbst ein Teil von ihr geworden.
Die Malerei einer ganzen Gruppe der „Scholle",
deren Name schon Programm ist, ist nichts als
dekorative Kunst, Fritz Erler, ihr Führer, ein
„Meister der Farbe" (unter - diesem Schlagwort
wird ja überhaupt die ganze moderne Malerei
dem großen Publikum schmackhaft gemacht).
Unleugbar zeigt sich gerade bei ihm eine Kultur
des Farbempfindens, ein Raffinement von Farb-
zusammenstellungen, wie sie bis dahin unerhört
waren, aber auch nur das, es ist nichts anderes
als die Kunst des Dekorateurs, des Modisten.
Bei seinen Genossen, wie etwa bei Angelo Jank
und Walter Püttner, die nicht die Kultur eines
Erl er besitzen, ruft die einseitige Betonung der
Lokalfarbe eine abstoßende Wirkung: hervor.

o

Höhere Aufgaben wie die des Dekorateurs scheint
sich ein Teil der modernen Maler nicht zu
stellen, und auch das Publikum will schon nicht
mehr, seitdem man ihm beigebracht hat, daß ein
Bild nichts erzählen dürfe, denn das sei Dicht-
kunst, vielmehr genüge es, wenn es das Heim

schmücke. Und das heißt letzten Endes nichts
anderes, als: es soll allein Reize auf die Seh-
nerven ausüben. AVie bescheiden sind wir doch
geworden! aber wie materialistisch auch! Freilich,
ein altes holländisches Stilleben aus dem
i 7. Jahrhundert ist „gefräßiger" als ein modernes ;
denn was ist da nicht alles drauf an Leckerbissen,
aber mit welchem Sinn für Form und Oberfläche
ist es gemalt und wie ist es aufgebaut, bis ins
kleinste empfunden und durchdacht. Und nun
erst diejenigen eines Chardin, des Klassiker des
Stillebens, diese bescheidenen Bildchen. In
Manets und Schuchs Stilleben finden wir noch
die Traditionen dieser Kunst lebendig, ja gesteigert,
aber wie steht es mit denen eines Cezanne und
anderer Franzosen und mit denen ihrer deutschen
Nachahmer? Da ist alles flach geworden, die
Gegenstände sind nicht mit Geschmack und Geist
angeordnet, sondern der Zufall hat sie hingestreut,
das Ganze müde, tonlos, barbarisch die Farben.
Man kehrt hier zum Farben-Drei- und Vierklang
der Urvölker zurück: Grün, Rot, Blau und Schwarz,
(selten etwas Violett und Gelb), und diese Farben
haben einen harten giftigen Beigeschmack. Darauf
besckränken sich noch heute die Völker Afrikas,
Australiens und die Indianer in ihrer Malerei,
und das war die Farbenskala, über die die
Barbaren des Mittelalters verfügten. Nebenbei
bemerkt, das Kolorit der Futuristen, Kubisten und
anderer jüngster „Richtungen" ist nichts anderes
als das der Urvölker, und wie aus ihrem Programm
(s. Kandinski, Über das Geistige in der Kunst)
hervorgeht, bauen sie die ihre auf die Kunst der
Indianer auf, ja sie sind stolz auf ihrUrmenschentum!

Wir dürfen hier geradezu von einer Verrohung
des Farbempfindens reden, das sich hier aller-
dings mit dekadenten Erscheinungen verbindet,
während wir vorhin eine höchst raffinierte Ver-
feineruno- desselben feststellen konnten. Dies ist
eine Parallelerscheinung der starken Betonung
des subjektiven Elements in unserer Kunst: heute
muß^ein jeder seine Freude und sein Leid hinaus-
schreien, sonst glaubt er nicht gehört zu werden.

Deutlich zeigt sich diese Verrohung auch in
den graphischen und vor allen Dingen reprodu-
zierenden Künsten. Statt vieler will ich ein
Beispiel herausgreifen, daß jeder nachprüfen kann,
das Sport- und Jagdbild. In einer Zeit der
Hochkultur der graphischen Künste in Mode
gekommen, hat es bereits im 18. Jahrhundert
seine Blüte erlebt. Von da ab ist es immer
mehr herabgesunken. Das Einstimmen der Rot-
röcke in die Töne der Landschaft ist auf den
englischen Schabkunst- und Punktierblättern des
18. Jahrhunderts meisterhaft geschehen, aber
schon im Anfang des 19. Jahrhunderts zeigt sich
das rohe Heraustreten der roten Farbe der
Reitröcke, und von da ab wird durch diese das Bild
 
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