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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 22 (2. Augustheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0580
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Abermals verstrichen acht Jahre, da vernahm man eines Tages
lautes Geräusch vor dem Arbeitszimmer des Pfarrers; denn es
kamen viele Männer, und voran schritt Thord. Der Pfarrer sah anf
und erkannte ihn. — Du kommst heute in grofzer Begleitung. —
Jch will das Aufgebot sür meinen Sohn bestellen; er soll sich mit
Karen Storliden, der Tochter Gudmunds, der hier steht, verheiraten.

— Das ist das reichste Mädchen des Kirchspiels! — Das sagt man,
erwiderte der Bauer und strich das Haar mit der einen Hand in
die Höhe. Der Pfarrer saß eine Weile wie in Gedanken versnnken
da; er sagte nichts, trug aber die Namen in seine Bücher ein, und
die Männer unterschrieben. Thord legte drei Taler auf den Tisch.

— Mir kommt nur einer zu, sagte der Pfarrer. — Das weiß ich
wohl, aber es ist mein einziges Kind, ich möchte es gern gut machen.

— Der Pfarrer nahm das Geld an. — Es ist das dritte Mal, daß
du um deines Sohnes willen hier stehst, Thord. — Aber nun bin
ich auch mit ihm fertig, sagte Thord, klappte sein Taschenbuch zu-
sammen, sagte Lebewohl und ging; die Männer folgten ihm langsam.

Vierzehn Tage später ruderten Vater und Sohn bei stillem
Wetter über das Wasser nach Storliden hinüber, um über die Hoch-
zeit zu verhandeln. — Die Ruderbank liegt nicht sicher unter uns,
sagte der Sohn und stand auf, um sie zurecht zu legen. Jn dem-
selben Augenblick gleitet das Brett, auf dcm er steht, aus: er greift
mit den Armen um sich, stößt einen Schret aus und fällt ins Wasser.

— Halt dich am Ruder fest! rief der Vater; er erhob sich und hielt
es ihm hin. Als aber der Sohn ein paar Schwimmbewegungen gemacht
hatte, befiel ihn ein Starrkrampf. — Warte einen Augenblick, rief
der Vater und ruderte an ihn heran. Da legt sich der Sohn anf
den Rücken, sieht den Vater mit einem langen Blick an und
versinkt.

Thord wollte es gar nicht glauben, er hielt das Boot an und
starrte anf den Fleck, wo der Sohn versunken war, als müsse er
wieder heraufkommen. Es stiegen einige Blasen auf, und noch einige,
und dann nur noch eine große, die zerplatzte — und spiegelglatt
lag die See wieder da.

Drei Tage und drei Nächte sahen die Leute den Vater rund
um die Stelle herumrudern, ohne zu essen, ohne zu schlafen; er
suchte mit dem Haken nach seinem Sohne. Und am Morgen des
viertcn Tages fand er ihn und trug ihn über die Hügel auf seinen
Hof.

Es mochte wohl ein Jahr seit jenem Tage verflossen sein. Da
hörte der Pfarrer noch spät an einem Herbstabend jemand vor der
Tür zur Hausflur herumtappen und vorsichtig nach der Türklinke
tasten. Der Pfarrer öffnete die Tür, und herein trat ein großer,
gebeugter Mann, mager und mit schneeweißem Haar. Der Pfarrer
sah ihn lange an, denn er erkannte ihn; es war Thord. — Kommst
du so spät? sagte der Pfarrer und blieb vor ihm stehen. — Ach ja,
ich komme spät, entgegnete Thord und setzte sich. Der Pfarrer setzte
sich ebenfalls, als warte er; lange schwiegen beide. Endlich sagte
Thord: Jch habe etwas mitgebracht, was ich gern den Armen geben
möchte; es sollte zu einem Legat verwandt werden und den Namen

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