ja hier relativ: ein kluger Mensch, der sich schnell entwickelt, wird
auch zehn Iahre später noch gescheiter sein, als ein dummer, der
langsam vorwärtskommt. Immerhin wird der Rnterschied der Leistun-
gen dann geringer sein. Der Langsamere ninunt einerseits schwerer
auf und fühlt anderseits die Hemmungen stärker, gerade dadurch aber
verarbeitet er gründlicher, er „erfährt" besser, und so »erzieht er
sich" unfreiwillig gründlicher. Ie länger je mehr kommt ihm die
größere Gediegenheit seines Erfahrungsschatzes als geistiges Kapital
zugute. In irgendeinem Iahre nun hört die Fähigkeit des Geistes
auf, Neues so zu assimilieren, daß es wieder zu einem Arbeits--,
zum Verarbeitungsmittel wird. Oft erst spät, wir kennen ja Menschen,
die bis ins späte Greisenalter hinein noch immer Neues verarbeiten
konnten, so daß es zweifelhaft erscheint, ob bei ihnen jener Still-
stand überhaupt eintrat. Er braucht ja auch nur „partiell" zu sein,
und es ist klar, daß bei diesen Funktionen wie bei allen des Leibes
und der Seele die Äbung die beste Verbürgerin weiterer Erhaltung
und Entwicklung ist. Oft aber kommt der Stillstand auch früh. Dazu
wird, abgesehen von organischen Nrsachen des Aufhörens und Rück-
bildens, deren Besprechung nicht hierhergehört, sehr wesentlich der
Mangel an Abung mitwirken, denn nicht geübte Organe ver-
kümmern bekanntlich. Ie nachdem, was man übt und was nicht,
wird man so Philister auf einem Gebiet und Vorwärtsstreber auf
einem andern sein können. Gewöhnlich, ohne daß der mit andern
Dingen beschäftigte Geist die Verluste da drübeu bucht. Aber man
kann sie auch merken und, etwa abgesetzt in stumpfsinnige Nmgebung,
sein eignes „Versauern« beklagen.
Ein unbewußtes Gefühl dafür, daß der frühere Zustand der Auf-
nahme- und Verarbeitungsfähigkeit der bessere war, bleibt den Phi-
listern. Denkt jeder Mensch der Iugend gern, in der das Kraftgefühl
die Kraft noch überwuchs, so tut es der Philister noch mehr, weil
damals auch seine geistige Kraft selber noch leistungsfähiger war.
Mir ist es immer verdächtig, wenn jemand, dem das Leben nicht
extrabös mitgespielt hat, gar zu voll von seiner Iünglingszeit ist.
„Wer's kann, der bleibt im tzerzen zeitlebens ein Student" — wer
das etwa als Vierziger nicht nur so mitsingt, sondern wirklich denkt —
wie wenig muß der die Kraftentfaltung gereifter Männlichkeit ge-
nießen! — Da der Philister von seinem Herunterkommen je weniger
merkt, je tiefer es ihn gebracht hat, so identifiziert er natürlich seinen
ehemaligen Zustand mit dem heutigen: nicht er war damals anders,
als er heute ist, sondern die Iugend ist heute anders, als sie damals
war. „Zu meiner Zeit. . Und so wird er ablehnend, widerwillig,
aufsässig gegen das Iunge und das, was von den Iungen vertreten
wird. Ist das etwas, was man zu seiner Zeit „überwunden" hatte,
damals, ehe er selber „stillstand", wie etwa die Schätzung der alten
Bauten und Möbel, so fühlt er die Iungen natürlich als Rück-
und sich als Fortschrittler, welches Gefühl ihn besonders erquickt.
Aber es gibt auch noch Fortschrittsphilister in anderm Begriff. Iene,
deren Entwicklungsstillstand bei der Erkenntnis eintrat, die uns andern
eine Durchgangsweisheit war: „daß man mit dem Neuen gehen
müsse". Sie gehen nun immer mit dem Neuen, „aus Grundsatz",
8 Kunstwart XXI, 7
auch zehn Iahre später noch gescheiter sein, als ein dummer, der
langsam vorwärtskommt. Immerhin wird der Rnterschied der Leistun-
gen dann geringer sein. Der Langsamere ninunt einerseits schwerer
auf und fühlt anderseits die Hemmungen stärker, gerade dadurch aber
verarbeitet er gründlicher, er „erfährt" besser, und so »erzieht er
sich" unfreiwillig gründlicher. Ie länger je mehr kommt ihm die
größere Gediegenheit seines Erfahrungsschatzes als geistiges Kapital
zugute. In irgendeinem Iahre nun hört die Fähigkeit des Geistes
auf, Neues so zu assimilieren, daß es wieder zu einem Arbeits--,
zum Verarbeitungsmittel wird. Oft erst spät, wir kennen ja Menschen,
die bis ins späte Greisenalter hinein noch immer Neues verarbeiten
konnten, so daß es zweifelhaft erscheint, ob bei ihnen jener Still-
stand überhaupt eintrat. Er braucht ja auch nur „partiell" zu sein,
und es ist klar, daß bei diesen Funktionen wie bei allen des Leibes
und der Seele die Äbung die beste Verbürgerin weiterer Erhaltung
und Entwicklung ist. Oft aber kommt der Stillstand auch früh. Dazu
wird, abgesehen von organischen Nrsachen des Aufhörens und Rück-
bildens, deren Besprechung nicht hierhergehört, sehr wesentlich der
Mangel an Abung mitwirken, denn nicht geübte Organe ver-
kümmern bekanntlich. Ie nachdem, was man übt und was nicht,
wird man so Philister auf einem Gebiet und Vorwärtsstreber auf
einem andern sein können. Gewöhnlich, ohne daß der mit andern
Dingen beschäftigte Geist die Verluste da drübeu bucht. Aber man
kann sie auch merken und, etwa abgesetzt in stumpfsinnige Nmgebung,
sein eignes „Versauern« beklagen.
Ein unbewußtes Gefühl dafür, daß der frühere Zustand der Auf-
nahme- und Verarbeitungsfähigkeit der bessere war, bleibt den Phi-
listern. Denkt jeder Mensch der Iugend gern, in der das Kraftgefühl
die Kraft noch überwuchs, so tut es der Philister noch mehr, weil
damals auch seine geistige Kraft selber noch leistungsfähiger war.
Mir ist es immer verdächtig, wenn jemand, dem das Leben nicht
extrabös mitgespielt hat, gar zu voll von seiner Iünglingszeit ist.
„Wer's kann, der bleibt im tzerzen zeitlebens ein Student" — wer
das etwa als Vierziger nicht nur so mitsingt, sondern wirklich denkt —
wie wenig muß der die Kraftentfaltung gereifter Männlichkeit ge-
nießen! — Da der Philister von seinem Herunterkommen je weniger
merkt, je tiefer es ihn gebracht hat, so identifiziert er natürlich seinen
ehemaligen Zustand mit dem heutigen: nicht er war damals anders,
als er heute ist, sondern die Iugend ist heute anders, als sie damals
war. „Zu meiner Zeit. . Und so wird er ablehnend, widerwillig,
aufsässig gegen das Iunge und das, was von den Iungen vertreten
wird. Ist das etwas, was man zu seiner Zeit „überwunden" hatte,
damals, ehe er selber „stillstand", wie etwa die Schätzung der alten
Bauten und Möbel, so fühlt er die Iungen natürlich als Rück-
und sich als Fortschrittler, welches Gefühl ihn besonders erquickt.
Aber es gibt auch noch Fortschrittsphilister in anderm Begriff. Iene,
deren Entwicklungsstillstand bei der Erkenntnis eintrat, die uns andern
eine Durchgangsweisheit war: „daß man mit dem Neuen gehen
müsse". Sie gehen nun immer mit dem Neuen, „aus Grundsatz",
8 Kunstwart XXI, 7