glaube ich, daß die germanische Kultur ihren Stil, ihre Form
hatte, daß die Germauen ihr Lrleben, ob ahnenererbt, selbwachsen
oder entlehnt, zu eigenartigem Ausdruck zusammenfaßten. Die
Griechen sind im selben Fall, desgleichen die Römer, desgleichen
Schiller, oder welchen großen Künstler man will. Alle philologischen
und historischen Untersuchungen über Einflüsse und Abhängigkeiten
fragen nach der Originalität und sind für diese Art der „Stilfrage"
wertlos. Verarbeiten und in eigenartigem Ausdruck zusammenfassen,
das ist es hier. Darum ist aber auch, weil sich das nicht lernen läßt,
alles Verweisen auf die Antike, wo wir formlosen Germanen lernen
könnten, was klassische Form sei, so epigonenhaft unnütz. Wir sind
wir; wenn wir nnr überhaupt von etwas ausgefüllt werden und es
zu sagen wissen, kurz, wenn wir nur eine Sache haben — oder: wenn
wir sie nur hätten — so brauchte um die Form uns nicht bangs zu sein.
Wer die Sache hat, hat auch die Form, die Form ist die Sache;
aber haben wir denn schon eine Sache? Versteckt sich nicht vielleicht
hinter dem Rufen nach der Form, wenigstens wo ernsthaft gerufen
wird, versteckt sich dahinter nicht vielleicht die Verlegenheit um eine
Sache?
Weil wir darüber klar werden wollen, verlangen wir Ausdrncks-
kultur. Abung in der Fähigkeit, aus der Form das Wesen zu er--
kennen. Achtsamkeit auf das, was sie sagt, nicht als ein an sich ge--
fälliges oder ungefälliges Gebilde, sondcrn eben als Ausdruck dessen,
Was ist. Karl Schultze
Künstler und Zngenieur*
oder: Slädtebaukunst 1496 und heute
ie gewaltige geistige Gärung um die Wende des sechzehntsn Iahr--
(^HHunderts wurde in Obersachsen noch gesteigert durch die soziale
^^Gärung, welche der infolge des neu aufgeschlossenen Silberberg--
baus eintretende Aufschwnng mit sich brachte. Schon einmal, zn Ende
des zwölften Iahrhunderts, hatte eine solche plötzliche Entwickelung
stattgefunden. Mitten im Walde war damals eine Stadt gegründet
und dann innerhalb nur dreier Iahrzehnte zweimal bedeutend ver--
größert worden. Es ist Freiberg, dessen Stadtplan diese Entwickelnng
noch genau erkennen läßt. Beim zweiten Aufblühen des Bergbaues
wurden Annaberg, Marienberg, Kupferberg, Iöhstadt, Eibenstock,
Wiesental und andre Städte gegründet. Kurz und anschaulich schil--
dert Cornelius Gurlitt in seinem Buche: „Kunst und Künstler am
Vorabend der Reformation", wie eine dieser Städte, Annaberg, ent--
stand: „Es ist ein uns eigenartig dünkendes Beginnen, eine Stadt
zu bauen. Dergleichen geschieht wohl in Amerika, aber nicht mehr
in unsern Landen. Die Männer, die sich im Tale der Zschopau
zusammenfanden, um in einer uralten Mühle zu beraten, wo die
neue Stadt stehen sollte, waren auch zu ihrer Zeit nicht mehr geübt
* Dieser Aufsatz hat aus Raumgründen eine Weile auf den Abdruck
warten müssen. Wir betonen das, weil einige der gerügten Äbelstände auch
nach der Meinung des Herrn Prof. Tscharmann in Dresden mittlerweile
gebessert worden sind.
3-l6
Kunstwart XXI, s2
hatte, daß die Germauen ihr Lrleben, ob ahnenererbt, selbwachsen
oder entlehnt, zu eigenartigem Ausdruck zusammenfaßten. Die
Griechen sind im selben Fall, desgleichen die Römer, desgleichen
Schiller, oder welchen großen Künstler man will. Alle philologischen
und historischen Untersuchungen über Einflüsse und Abhängigkeiten
fragen nach der Originalität und sind für diese Art der „Stilfrage"
wertlos. Verarbeiten und in eigenartigem Ausdruck zusammenfassen,
das ist es hier. Darum ist aber auch, weil sich das nicht lernen läßt,
alles Verweisen auf die Antike, wo wir formlosen Germanen lernen
könnten, was klassische Form sei, so epigonenhaft unnütz. Wir sind
wir; wenn wir nnr überhaupt von etwas ausgefüllt werden und es
zu sagen wissen, kurz, wenn wir nur eine Sache haben — oder: wenn
wir sie nur hätten — so brauchte um die Form uns nicht bangs zu sein.
Wer die Sache hat, hat auch die Form, die Form ist die Sache;
aber haben wir denn schon eine Sache? Versteckt sich nicht vielleicht
hinter dem Rufen nach der Form, wenigstens wo ernsthaft gerufen
wird, versteckt sich dahinter nicht vielleicht die Verlegenheit um eine
Sache?
Weil wir darüber klar werden wollen, verlangen wir Ausdrncks-
kultur. Abung in der Fähigkeit, aus der Form das Wesen zu er--
kennen. Achtsamkeit auf das, was sie sagt, nicht als ein an sich ge--
fälliges oder ungefälliges Gebilde, sondcrn eben als Ausdruck dessen,
Was ist. Karl Schultze
Künstler und Zngenieur*
oder: Slädtebaukunst 1496 und heute
ie gewaltige geistige Gärung um die Wende des sechzehntsn Iahr--
(^HHunderts wurde in Obersachsen noch gesteigert durch die soziale
^^Gärung, welche der infolge des neu aufgeschlossenen Silberberg--
baus eintretende Aufschwnng mit sich brachte. Schon einmal, zn Ende
des zwölften Iahrhunderts, hatte eine solche plötzliche Entwickelung
stattgefunden. Mitten im Walde war damals eine Stadt gegründet
und dann innerhalb nur dreier Iahrzehnte zweimal bedeutend ver--
größert worden. Es ist Freiberg, dessen Stadtplan diese Entwickelnng
noch genau erkennen läßt. Beim zweiten Aufblühen des Bergbaues
wurden Annaberg, Marienberg, Kupferberg, Iöhstadt, Eibenstock,
Wiesental und andre Städte gegründet. Kurz und anschaulich schil--
dert Cornelius Gurlitt in seinem Buche: „Kunst und Künstler am
Vorabend der Reformation", wie eine dieser Städte, Annaberg, ent--
stand: „Es ist ein uns eigenartig dünkendes Beginnen, eine Stadt
zu bauen. Dergleichen geschieht wohl in Amerika, aber nicht mehr
in unsern Landen. Die Männer, die sich im Tale der Zschopau
zusammenfanden, um in einer uralten Mühle zu beraten, wo die
neue Stadt stehen sollte, waren auch zu ihrer Zeit nicht mehr geübt
* Dieser Aufsatz hat aus Raumgründen eine Weile auf den Abdruck
warten müssen. Wir betonen das, weil einige der gerügten Äbelstände auch
nach der Meinung des Herrn Prof. Tscharmann in Dresden mittlerweile
gebessert worden sind.
3-l6
Kunstwart XXI, s2