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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,2.1908

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1908)
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Nordhausen, Richard: Snob
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https://doi.org/10.11588/diglit.7705#0196
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I Iahrg. 2! Erstes Februarheft 1608 HefL 9

Snob

Welttenor Enrico Caruso war diesmal nicht bei Stimme
hatte bekanntmachen lassen, daß er nur in Opern auf-
treten werde, die keine sonderlich hohen Ansprüche an seine
Kraft und sein Können stellten. In Rigoletto also und in gehudelten
Schmarren, wie Donizettis Lucia von Lammermoor. Trotzdem zahlte,
wer es aufzubringen vermochte, begeistert fünfundzwanzig Mark für
den Parkettplatz, und viele Hunderte, die sich mit Vergnügen das
Opfer zumuteten, mußten draußen bleiben. Einen wirklichen Kunst-
genuß hatte sich im kunstfreudigen Berlin niemand von dem Italiener
versprochen, und seine Affenkäfiggeschichte wog, so pikant sie klang,
doch keine fünfundzwanzig Mark auf. Man ging vielmehr zu Caruso,
weil es Mode war. Weil man's für Ehrenpflicht hielt, dabei gewesen
zu sein. Weil Kommerzienrat Meyers, Generalkonsuls und die ekligen
Krauses, die immer alles mitmachen müssen, ebenfalls hingingen.

Bei Zacconi, Beerbohm Tree, selbst bei der Segond-Weber und
noch schlimmeren Abgetakeltheiten aus der Fremde sitzen alleweil
andächtigen Gesichtes Menschenmengen, die ihre Sprache nicht ver-
stehen, zumeist die von ihnen gespielten Stücke nie gesehen oder ge-
lesen haben und denen jedes vergleichende ülrteil fehlt. Sie be-
obachten — da der Zuschauerraüm verdunkelt ist, bleibt dies gottlob
unbemerkt — heimlich den Nachbarn, sind in tiefer Seele ergriffen,
wenn er Ergriffenheit markiert, und lächeln und lachsn, wenn er's
aus irgendeinem Grunde tut. Viel lieber säßen sie jetzt bei Kem-
pinski, wo nachher ohnehin kein Tisch zu bekommen ist. Aber die
Bildung verlangt es, daß sie hier mit zusammengepreßten Lippen
gähnen; die tyrannische Mode bringt ihre unglücklichen Knechte um
die saftigen Tournedos Rossini und den mit Eis gefüllten Eierkuchen.
„Ich vertrage Hummermayonnaise nicht, wenn ich sie nach elf Uhr
abends esse", sagt Frau Lilienfeld, i. Fa. Lilienfeld Gebrüder L Cie.,
zu ihrer Freundin, die heut abend die neue Biesterrobe trägt. „Aber
ich mußte doch Iane Hading schen l" S'e bezahlt ihre Kunstschwärmerei
mit einem hilflos verdorbenen Magen, von dem Billettpreise noch
ganz zu schweigen.

Ich will nicht sagen, wie viele Leute sich bei Ibsen langweilen und
krankärgern. Sie gehen hin, um dagewesen zu sein und mitreden zu
können; hauptsächlich gehen sie zu dem Zwecke hin, daß sie irgendein
Vekannter trifft. Mit Genuß erinnere ich mich noch der hinreißend
dicken Dame, die in Hofmannsthals Tor und Tod vor mir saß und
das müde Haupt immer wieder auf den Busen sinken ließ. Sie war
nicht schlimmer als die anderen um sie her, die den Faust-Nachklängen
mit krampfiger Aufnrerksamkeit lauschten und jedesmal hörbar auf-
atmeten, wenn's zu Ende zu sein schien. Aber Gott ist gerecht, und
es war immer noch lange nicht zu Lnde. Die letzte Mode ist Wede-
kind. Eigentlich mopst er die Männer, und die Weiblein genieren
sich schrecklich. Trotzdem schwören sie auf ihn und wallfahren in die

! f. Februarheft jZOS sSS
 
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