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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,2.1908

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Heft 12 (2. Märzheft 1908)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7705#0453
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wird nicht mehr Ideen und Theo-
rien, weder idealistische noch natu--
ralistische, mit Tatsachen verwechseln,
noch auch sich mit abstrakten geist-
lichen Seelen zu schaffen machen.

Solche Gedanken sind in der deut--
schen Lheologie nicht völlig neu;
aber sie sind bei uns schwer zu
haben. Gemeinhin muß man bei
uns sehr feinhörig sein, um etwas
davon aus halblauten Andeutungen
und halbgezogenen Konsequenzen
herauszunehmen. Aberwiegend sind
sie nur als Einschläge in lange
Gedankenentwicklungen da, an den
verschiedensten Stellcn, ohne Zusam-
menhang unter sich, immer nur in
der Vergangenheit angeschlossen. Da-
zwischen Wust und kreuzende Linien.
Es mag für den Forscher inter--
essant und nötig sein, so alle Wege
abzugehen. Für den Laien entwertet
es die Arbeit sehr.

Bei Ferguson nun in der neuen
Welt treten die entscheidenden Ge-
danken in einem — von der etwas
kapriziösen Form abgesehen — ein-
fachen und starken Zusammenhang
auf, der den Laien wirklich fühlen
läßt, daß hier etwas ist nicht für
Theologen oder Kulturhistoriker oder
Philosophen, sondern für ihn und
sein Leben. Statt der vereinzelten
Stauden, die hier und da zwischen
den Steinen wachsen, verkrüppelt,
mit Mühe erkennbar und ohne
Blüten, ist hier ein ganzer Früh-
ling aufgebrochen, einem Heutigen
erlebbar und genießbar, ohne daß
er erst in den Erdboden gekrochen
sein und unterm Schnee gelegen
haben muß, mit andern Worten:
ohne daß er „geschichtlich wissend"
geworden sein und die Theologen-
nöte durchlitten haben muß.

Der Tag, an dem wir die Er-
kenntnis zurückgewinnen von der
Seele, will sagen dem Menschen als
der eigentlichen Wirklichkeit, dem
Stellwerk sozusagen der Gesamtwirk-

lichkeit, aller Theorien und Erkennt-
nisse lehter Quelle zugleich und
Grenze, wird uns viel Freiheit und
Herrschaft wiedergeben. Er wird viele
Ruinen alter Burgen sehen, an
denen wir uns dann kulturhistorisch
und ästhetisch erbauen, aber hinter
deren dicken Mauern wir nicht mehr
gefangen sitzen werden. Bonus

Der Herr Ökonom

auer", es gibt kein schöneres
, und stolzeres Wort in unserm
Deutsch, als dieses, das den, der es
führt, dem Ausüber einer dcr höch-
sten Menschentätigkeiten nach altem
Sprachgeist an die Seite stellt, denn
wer „baut", ist ja fast noch mehr,
als wer ctwas „kann", also nach
dem griechischen Wortsinne der
Poet. Aber unsre Bauern lesen
augenscheinlich s o viel griechisch,
daß sie das Deutsch vcrlernt haben,
und so nennen sie sich mit einem
andern hellenischen Wort „Ökono-
men". Immerhin sind Fremdwör-
ter eine gefährliche Sache; unsre
Bauern haben ihr Griechisch doch
nicht gut gelesen: heißt

„Hausverwalter" und hat mit der
eigentlich bäuerlichen Tätigkeit über-
haupt nichts zu tun. — Schcrz bei-
seite: fühlt man denn nicht, wie
dumm diese Feintuerei ist, wie
lächerlich sie den Bauern macht?
Es gibt schon ganze Landstriche, in
denen er sich schier durchweg mit
dem abgeschlissenen städtischen Aus-
druck anzieht, um zn bezeugen, daß
ihm Stolz und Würdegefühl zum
Teufel geht. So ist's erfreulich, daß
neulich ein bayerischer Beamter seine
Leute öffentlich auf den Anfug hin-
gewiesen hat. „Der Bäcker backt das
Brot und heißt deshalb Bäcker,
der Müller mahlt das Getreide
und heißt Müller, der Schuster
heißt so, weil er Schuhe macht,
der Schreiner, weil er Schreine,
Schränke usw. verfertigt. Das ist

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