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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,4.1910

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Heft 19 (1. Juliheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9020#0056
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viel zu tief eingeschnitten und
unerfreulich leblos durch ihre
scharfe Akkuratesse. Man sieht
eine alte Säule dieser Art an
dem einen Pfeilerbündel: wie sanft
und handfest.

Von hier aber kommt eine tiefere
Frage. Wandert man durch diese
wenigen Reste seine wenigen
Schritte auf und ab, siht auf dem
großen Becken oder in einem der
Fenster und überschaut dies
Schlichte und Mild-Gewaltige,

Entscheidende anzudenten. Fast alle
Kunst ist an ihrer Vollendung ge-
scheitert. Feuerbachs Urformen sind
groß, seine Ausführung ist oft
klein. Es verträgt sich kein großer
erregter Sinn mit einer peinlichen
Ausführung. So ist es immer ge-
wesen. Der Mensch hat nicht ge-
wagt, Fragment zn bleiben. Der
innere und äußere gotische Dom,
das heißt: der Weltbaum und
der Baumknchen, ist vielleicht das
krasseste Beispiel. Wenn die Ele-

Zeichnung von Wilhelm Roegge aus dem
Bande ,Daterland" des »Deutschen Spielmanns".
Verlag von Georg D- W. Lallwey in Müuchen

Ruhende und Tiefbewegte — ja,
ist es denn möglich, daß das
alles einmal saubcr mit Putz be-
worfen war? Daß da ein Dach
drüber war? Daß da eins und
anderes bemalt war? Und so
fort und fort: Ist denn das ohne
den freien Himmel darüber denk-
bar? Es gehört eine sehr große
Portion Selbstsicherheit dazu, um
Zu wisscn, daß dies Gefühl nicht
Romantik und Rurnenstimmung,
nicht Mißverstehn reiner Kunst
sein kann. And vielleicht gehört
auch einiger Mut und einige reine
Torheit dazu, dergleichen zu
äußern. Ich will versuchen, das

mente wieder Macht über ein Men-
schenwerk gewinnen, so nehmen sie
zunächst das Entbehrlichste wcg,
dann decken sie dadurch, daß sie
große Lücken reißen, die große
Konstruktion anf, die der Mensch
immer verdeckt, und zuletzt geben
sie allem zusammen die Einheit,
daß das geblieben ist, was dem
Elemente standhielt, daß aber alles
vom Element ergriffen und so
halb in den Himmel und halb
in die Erde zurückgewachsert ist.
Die Ruinenromantik hat Anteil
an dieser Macht. Aber ihr ist
sie Stimmung und pittoresk. Dies
ist etwas anderes: das Einswerden

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