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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 5.1929

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Platz, Wilhelm: Aus den Jugenderinnerungen eines alten Pfälzers
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https://doi.org/10.11588/diglit.41982#0039

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trauens- oder gar Anhänglichkeits-Verhältnis bestand nicht, wurde auch von
keiner Seite zu Pflegen versucht; das so unpädagogische Herabsetzen der
Schüler, die beständige Verletzung ihres Selbstgefühls und Selbstvertrauens,
womit man ihnen im vornherein alles mögliche Schlechte zutraute und aus den
Kopf zusagte, war an der Tagesordnung. Man hat so das Schlimme und
zahllose Streiche geradezu in uns hineinsuggeriert. Dazu ein vorsintflutlicher
Lehrplan: nichts Naturwissenschaftliches oder Technisches, kaum etwas Geo-
graphie und Geschichte (wesentlich Auswendiglernen von Jahreszahlen ohne
jeden Hinweis aus innere Zusammenhänge), ein jämmerlich bischen Fran-
zösisch, etwas Mathematik (bei der ich meist mit Note 4 abschnitt!), Religion
gleichfalls nur Auswendiglernen ohne irgendwelches Eingehen auf die Grund-
fragen, geschweige denn auf religiös-philosophische Probleme — nichts als
lateinische und später auch griechische Grammatik! Regeln und nochmals
Regeln, Ausnahmen von den Regeln und wiederum Ausnahmen von den
Ausnahmen, das war so ziemlich alles, was man Tag für Tag mit zäher
Konsequenz uns einzuhämmern suchte. Die alten Schriftsteller, soweit sie
gelesen wurden, dienten auch mir als Material fürs Grammatikalische; keiner
wurde in längerem Zusammenhang gelesen oder nach seinem ästhetischen und
kulturhistorischen Gehalt irgendwie beleuchtet. Einer unserer Gymnasiallehrer
hatte ausnahmsweise auch eine Art literarisches Interesse: er diktierte uns
lateinische Distichen, aber in veränderter, formloser Wortfolge, und die Auf-
gabe bestand darin, die Worte möglichst rasch zu richtigen Distichen zusammen-
zuordnen — was mir infolge einer gewipen Begabung für Rhythmus stets
spielend gelang. Als eigene poetische Leistung sagte man diesem Professor
ein deutsches Distichon nach: „Schön ist's, wenn's schön ist. im Sommer spa-
zieren zu gehen, und tun's auch, aber im Winter sofort ist es schon Manchem
zu kalt."
Im Religionsunterricht hatten wir zeitweise einen aus „Altbayern" ver-
schriebenen, ganz weltfremden Klostergeistlichen, den wir nur „Goot der Heer"
hießen — so lautete nämlich „Gott der Herr" in seinem Dialekt, an dem er
hilflos sestklebte. An unserem pfälzischen, etwas ungenierten und gar nicht
„gottselig" geducktem Wesen nahm er gewaltig Anstoß und verdonnerte uns
als „frühvolle" Iugend. In Bälde machte er sich unmöglich und wurde wie-
der ins „Ienseitige" (Bayern) zurückbeordert. Im Zeichenunterricht gab es
nur mechanisches Drauflos-Kopieren von Blattvorlagen, meist mit Hilfe
von Papiermeßstreifen; aus eigenem Antrieb versuchte ich, das „Heiden-
türmchen" und andere Partien meines geliebten Domgartens nach der Natur
zu zeichnen, was mir auch soweit gelang, daß mich der Onkel Kirchenmaler für
seinen Berus gewinnen wollte — gottlob ist nichts daraus geworden, so wenig
wie aus meinen Musikerplänen; indes komponierte ich auf eigene Faust wacker
darauflos — bis zum heutigen Tage; aus letzterem Feld brachte ich es später
zu einigen Bänden Lieder, ja zu einer Oper und einem großen Oratorium,
das einmal auch in Speyer Aufführung fand. Auf dem Gymnasium gab mir
der Gesanglehrer wenig Anregung, er war Domorganist und ausschließ-
lich auf Palestrina und Genossen eingeschworen: schon Haydn und Mozart
waren ihm allzu modern. Doch fand ein von mir gedichtetes und komponiertes
Duett für Tenor und Bah mit Klavier soweit Gnade vor seinen Augen, daß
er es bei der öffentlichen Maifeier des Gymnasiums durch mich und zwei Mit-

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