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Lange, Konrad
Das Wesen der Kunst: Grundzüge einer realistischen Kunstlehre (1) — 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.47461#0074
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zur Unproduktivität und zu einem leeren dialektischen Hinundher-
schieben von Begriffen, das nicht den geringsten Wert hat. Jeden-
falls will es mir schon als ein gewisser Vorzug der Illusionstheorie
erscheinen, dass sie an die Stelle des bisher als alleingültig an-
genommenen Beweises der Selbstbeobachtung, der allenfalls noch
durch einige sporadische historische Beobachtungen ergänzt wurde,
acht ganz verschiedenartige Beweisgruppen treten lässt, deren jede
für sich allerdings keine entscheidende Kraft hat, die aber alle
zusammen, so wie sie sich gegenseitig ergänzen, doch ein sehr
respektables Beweismaterial darstellen.
Ich sollte denken, dass man in einer Wissenschaft wie der
Ästhetik, die von jeher der Tummelplatz ganz willkürlicher Be-
hauptungen und individueller Vermutungen gewesen ist, jeden
neuen Beweis mit Freuden begrüssen müsste. Sollte das Bild der
ästhetischen Thatsachen, das sich daraus ergäbe, etwas reicher und
mannigfaltiger werden als es sich bis jetzt dargestellt hat, so wäre
das meines Erachtens kein Nachteil. Man könnte es wohl kaum
als eine „Verwirrung“, sondern nur als eine Klärung unserer An-
schauungen begrüssen. Und nun zur Sache.

DRITTES KAPITEL
DIE LUST ALS ZWECK DER

KUNST

ICH habe im vorigen Kapitel die Ästhetik als die Wissenschaft
von den ästhetischen Lustgefühlen definiert. Diese provisorische
Definition gilt es jetzt zu begründen. Um das zu können, muss
nachgewiesen werden, dass der wesentliche Zweck der Kunst
die Erregung von Lust ist. Es giebt eine Menge Menschen, die
diese Behauptung von vornherein mit dem grössten Misstrauen
aufnehmen werden. Das sind die Moralisten, die ausgesprochenen
oder verkappten Ethiker, die Pietisten und die Vertreter der
höheren Töchter-Moral. Und weil ihre Anschauungen einmal weit
 
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