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verbreitet sind, muss dieser Beweis mit besonderer Sorgfalt geführt
werden. Denn er bildet die Grundlage alles Folgenden.
Die Definition der Ästhetik als der Wissenschaft von den
ästhetischen Lustgefühlen weicht von einer anderen früher all-
gemein gebräuchlichen ab, wonach sie die „Lehre vom Schönen“
wäre. Diese Definition ist den meisten Menschen, besonders den
eben erwähnten, sehr viel sympathischer. Denn der Begriff des
Schönen ist so angenehm biegsam und elastisch, dass man unter
ihm alles verstehen kann, was man etwa darunter verstehen will.
Die frühere spekulative Ästhetik ging bei ihren Untersuchungen
gewöhnlich von einem — meist metaphysisch gewonnenen —
Begriff des Schönen aus. Von ihm aus deduzierte sie dann, wie
sich dieses so formulierte Schöne in den einzelnen Gebieten der
Natur und Kunst, des Lebens, Forschens, Wollens, Fühlens u. s. w.
offenbare oder besser gesagt offenbaren müsse. Wir Kinder eines
empirischen Zeitalters sind wesentlich bescheidener geworden. Und
so beginnt denn auch die Illusionsästhetik ihre Untersuchungen
nicht mit der Frage nach dem Schönen, sondern mit der Frage
nach der Kunst. Für uns zumal ist dies der einzige gangbare Weg.
Denn wir wollen ja keine Ästhetik, sondern eine Kunstlehre
schreiben. Aber auch wenn wir eine Ästhetik schrieben, würden
wir mit dem Kunstschönen beginnen. Denn das Naturschöne ist
ein höchst kompliziertes und schwer definierbares Ding. Man
kann es nicht verstehen, wenn man nicht zuvor das Kunstschöne
verstanden hat. Und man kann das Kunstschöne nicht verstehen,
wenn man nicht zuvor in das Wesen der Kunst eingedrungen ist.
Die empirische Forschung geht ja überhaupt nicht vom Allgemeinen
zum Besonderen, sondern vom Besonderen zum Allgemeinen. Die
Ästhetik von unten beginnt nicht mit dem Ganzen, um von da
aus die Teile zu verstehen, sondern sie beginnt mit den Teilen,
um aus ihnen das Ganze zusammenzusetzen. Daraus ergiebt sich
der Gang der Untersuchung von selbst.
Wie schwer das „Schöne“ im allgemeinen zu definieren ist,
lehrt eine sehr einfache Erwägung. Was verstehen wir nach
dem jetzt herrschenden Sprachgebrauch nicht alles unter „schön“!
Wir reden von einem schönen Gedicht, einer schönen Sonate,
einem schönen Gemälde. Aber wir reden auch von schönen
Frauen, schönen Gegenden, schönen Frühlingstagen. Wir erklären
Hunde und Pferde, die uns gefallen, für schön, aber wir preisen
auch eine schöne That, eine schöne Seele, eine schöne Lebens-
 
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