Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
32

geschlossen ist, ein ganz anderer werden, so wird er dann natür-
lich auch einen anderen ästhetischen Gattungsinstinkt haben. Man
würde dann eben eine neue Ästhetik schreiben müssen. Darüber
brauchen wir uns aber jetzt den Kopf nicht zu zerbrechen.
Das, was für den Augenblick notthut, ist eine realistische
Ästhetik, d. h. eine theoretische Begründung der künstlerischen
Prinzipien, die seit der Mitte unseres Jahrhunderts die Kunst
Europas umgestaltet haben. Denn thatsächlich haben wir bisher
noch keine streng realistische Kunstlehre, die diese Prinzipien in
einwandfreier Weise theoretisch begründete. Unsere Ästhetik hat
mit dieser Entwickelung durchaus nicht Schritt gehalten. Das
„Wesen der Kunst“ will diese Lücke ausfüllen. Es macht nicht
den Anspruch, definitive Wahrheit zu enthalten, sondern will nur
eine notwendige und nicht zu überspringende Etappe auf dem
Wege zur Wahrheit sein. Daraus ergiebt sich sein Anspruch auf
Fortschritt, daraus auch seine Resignation in Bezug auf die höhe-
ren Ziele.
ZWEITES KAPITEL
DIE METHODE
WENN die Aufgabe der wissenschaftlichen Kunstlehre die Er-
mittelung des ästhetischen Gattungstriebs ist, so kann
die Methode, nach der diese Ermittelung zu erfolgen hat, natür-
lich nur die empirische sein. Die moderne Ästhetik, wenigstens
wie ich sie auffasse, verschmäht bei ihrer Beweisführung jede
transzendentale oder metaphysische Voraussetzung, sucht vielmehr
die Gesetze des künstlerischen Schaffens und Geniessens lediglich
aus den Thatsachen des künstlerischen Lebens selbst zu entwickeln.
Sie verbietet allerdings niemand, an das, was sie auf diesem
Wege gefunden hat, transzendentale oder metaphysische Spe-
kulationen anzuknüpfen, hält es aber nicht für ihre Pflicht, dies
selber zu thun. Jedenfalls stellt sie diese Spekulationen nicht an
den Anfang ihrer Untersuchung, lässt sich bei ihren weiteren For-
 
Annotationen