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auch einen verschiedenen ästhetischen Mittelwert haben. Von einer
Übereinstimmung des Geschmacks könnte also höchstens bei Men-
schen desselben und zwar eines sehr engen Kulturkreises die Rede
sein. Die Ästhetik ist aber nicht die Beschreibung des Geschmacks
eines solchen Kulturkreises.

Aus alle dem ergiebt sich nun zur Genüge, dass die Form als
blosse Form für den Kunstgenuss nur eine geringe Bedeutung hat.
Was an ihr selbständiger Reiz, d. h. unabhängig von der Illusion
ist, kann wohl einen gewissen äusseren, d. h. rein sinnlichen Genuss
gewähren, aber nicht im eigentlichen Sinne ästhetisch anregen. Die
Form kommt also als solche für den höheren ästhetischen Genuss
überhaupt nicht in Betracht, sondern nur als Vehikel der Illusion,
als Mittel des Gefühlsausdrucks, der Erzeugung einer Vorstellung.
Einen Gegensatz zwischen Form- und Inhaltsästhetik kann es also
eigentlich nicht geben. Jede wahre Ästhetik ist Formästhetik, weil
sie Inhaltsästhetik, und Inhaltsästhetik, weil sie Formästhetik ist.
Beides fällt zusammen.

ZWÖLFTES KAPITEL
DER LUSTERREGENDE WECHSEL
ZWEIER VORSTELLUNGSREIHEN


IR haben im achten und neunten Kapitel gesehen, dass die

Bedingung jedes Kunstgenusses das strenge Auseinander¬

halten des wahrgenommenen Kunstwerks und der Vorstellung, die
es erzeugen soll, ist. Der ästhetische Genuss ist also die Folge
einer gleichzeitigen Entstehung zweier Vorstellungsreihen, die sich
eigentlich ausschliessen. Kunst und Natur, Schein und Wirklich-
keit, sinnliche Wahrnehmung und Gefühl kommen dem An-
schauenden nebeneinander zum Bewusstsein, und zwar in gleicher
 
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