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NEUNTES KAPITEL
DIE UNKÜNSTLERISCHE
ILLUSION

DEN besten Beweis für die im Vorigen begründete Auffassung
bietet die Minderwertigkeit aller derjenigen pseudokünstleri-
schen Thätigkeiten, bei denen die Absicht auf eine wirkliche Täu-
schung geht. Dazu gehören z. B. die Panoramen und Wachsfiguren.
Für jeden feiner empfindenden Menschen liegt es auf der Hand,
dass diese „Kunstwerke“ Schöpfungen niederer Art sind, die umso
weniger ästhetisch wirken, je mehr sie den Eindruck der Wirklich-
keit erzeugen. Dies ist eine empirische Thatsache, mit der wir
rechnen, die wir erklären müssen. Sonderbarerweise hat man nun
gerade aus ihr eine Waffe gegen die Illusionstheorie geschmiedet.
Statt nämlich daraus zu schliessen, dass die Selbsttäuschung, der
man sich bei der Betrachtung eines Kunstwerks hingiebt, keine
wirkliche, sondern eine bewusste sein müsse, behauptet man viel-
mehr, dass die Illusionstheorie die Kunst zur Stufe solcher „sen-
sationeller Illusionen“ degradiere, mit der Panoramenmalerei und
Wachsfigurenplastik auf eine Stufe stelle.
Wer das thut, hat die ganze Illusionstheorie nicht verstanden.
Denn alle diese Illusionen unserer Jahrmärkte und Varietes haben
es ja gar nicht auf eine bewusste, d. h. von dem Geniessenden
durchschaute, sondern vielmehr auf eine wirkliche Täuschung ab-
gesehen. Sie stellen also gerade das Gegenteil von dem dar, worin
nach uns das Wesen der Kunst besteht, man kann sie deshalb
nur als unkünstlerische Illusionen bezeichnen. Wir wollen diese
unkünstlerischen Illusionen der Reihe nach durchnehmen. Vielleicht
gelingt es uns dadurch noch mehr in das Wesen der künstlerischen
Illusion einzudringen. Es handelt sich dabei um folgende Er-
scheinungen : die Photographie mit ihren illusionistischen Steigerun-
gen, dem Stereoskop und dem Kinematographen, das Diorama,
das Panorama, das Panoptikum, die Taschenspielerei und die
höhere Magie.
Dass eine Photographie kein Kunstwerk im eigentlichen Sinne
des Wortes ist, hat wohl noch nie ein kunstverständiger Mensch
 
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