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heit der Natur ganz auf denselben Eigenschaften des Objekts be-
ruhte wie die der Kunst, wie würde es sich dann erklären, dass
ein Kunstwerk, das den Beschauer wirklich täuscht, ästhetisch
minderwertig ist, da es doch dann als Natur genommen wird und
der ästhetische Genuss am Naturobjekt ganz derselbe ist wie am
Kunstwerk ?
Um derartige Schwierigkeiten zu lösen, muss man dann natür-
lich zu den Theorien der Idealisierung oder zu allerlei meta-
physischen Spekulationen über die Kunst greifen, die sich mit den
thatsächlichen Verhältnissen nicht vertragen. Man muss die Schön-
heit des Kunstwerks in der Art sehen, wie der Künstler die Natur
steigert, d. h. verschönert, während sie doch nur darin besteht,
wie er mit den Mitteln seiner Kunst den Eindruck der Natur so
stark erzeugt, dass der Geniessende in dem Kunstwerk völlig auf-
geht, es fast so ansieht, als wenn es Wirklichkeit wäre.
Diese Schwierigkeiten allein würden genügen, um die Richtig-
keit der Illusionstheorie zu erweisen. Wer nicht von ihr ausgeht,
sieht das Wesen der Kunst in Dingen, in denen es nicht besteht.
Er unterschätzt die Bedeutung einerseits der Erzeugung eines leben-
digen Natureindrucks, andererseits der Persönlichkeit des Künstlers
für das Bewusstsein des Geniessenden, und öffnet dadurch sowohl
den Irrtümern des Idealismus als auch des Naturalismus die Thüre.

ZEHNTES KAPITEL
DIE FORM
DAS Mittel nun, durch das der Künstler die im Vorigen nach-
gewiesene bewusste Selbsttäuschung erzeugt, das Elixir, durch
das er die tote Materie für die Anschauung zum Leben erweckt,
ist die Form. Ich habe schon früher (S. iöf.) betont, dass es ein
Irrtum der Formästhetik war, das Geheimnis des Schönen in
der Form als solcher zu erkennen, und es muss jetzt noch im
 
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