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T33

ein. Man kann unmittelbar nach der Anschauung des Kölner
Doms ebenso sündigen, wie unmittelbar nach der Anschauung des
Dresdener Zwingers ein frommer und braver Mann sein. Fröm-
migkeit und Moral sind doch wohl zu ernste und wichtige Dinge,
als dass sie so ohne weiteres durch den Anblick einiger Strebe-
pfeiler und Fialen in die Seele hineingezaubert und gleich darauf
durch den Anblick einiger Konsolen und Schnörkel wieder hinaus-
befördert werden könnten.
Natürlich ist es einem guten Katholiken unbenommen, beim
Eintreten in einen gotischen Dom neben den ästhetischen Gefühlen
auch solche wirklicher Frömmigkeit zu haben, ebenso wie man
einen Lebemann schwerlich davon abhalten kann, beim Anblick
eines Rokokoschlösschens sich allerlei unsoliden Vorstellungen hin-
zugeben. Aber beide werden uns gestatten, diese ihre Ernstgefühle,
soweit sie wirklich durch den Anblick solcher Bauten veranlasst
sein sollten, nicht mit den ästhetischen in einen Topf zu werfen,
sondern sorgfältig davon zu scheiden.

SECHSTES KAPITEL

DIE BEWEGUNGS- UND
KRAFTILLUSION


ICHT nur der Stimmungsgehalt der architektonischen Formen

1 N ist es, wodurch sie ästhetisch wirken. Es kommt dazu noch
ein zweites, nämlich die Bewegungs- und Kraftillusion. Und diese
ist auch bei den dekorativen Künsten vorhanden. Ja sie lässt sich
sogar bei der Plastik, der Malerei, dem Tanz und der Musik
nachweisen, spielt also eigentlich in allen Künsten eine Rolle.
Um sie richtig zu beurteilen, müssen wir etwas weiter ausholen.
Unter Bewegungsillusion kann man ein doppeltes verstehen,
nämlich erstens die Vorstellung, dass sich ein anderes, was
man wahrnimmt, bewege, während es sich in Wirklichkeit nicht
 
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