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72

Lustcharakter, Zwecklosigkeit und Freiwilligkeit sind also die
drei ersten und allgemeinsten Kennzeichen der Kunst, drei Kenn-
zeichen, die sich gegenseitig bedingen, unmittelbar voneinander
abhängen. Im übrigen ist die künstlerische Thätigkeit, wie wir
schon hier hervorheben müssen, in Bezug auf die Sinne, die zu ihrer
Wahrnehmung dienen, eine sehr mannigfaltige. Die Wahrnehmung
des Kunstwerks kann entweder durchs Auge geschehen (Malerei,
Plastik, Architektur, dekorative Künste und Tanz) oder durchs
Ohr (Musik und Poesie) oder durch beides zusammengenommen
(Schauspielkunst und dramatische Musik). Das Kunstwerk kann
entweder sein ein sichbares Werk von Menschenhand (Malerei,
Plastik, Architektur und dekorative Kunst) oder eine Schöpfung
des menschlichen Geistes, die dem Geniessenden durch Hören
oder Lesen vermittelt wird (Poesie und Musik) oder eine Pro-
duktion des menschlichen Körpers, bei der der Künstler selbst
mit seinem Körper und seinen Bewegungen das Kunstwerk dar-
stellt (Schauspielkunst und Tanz). Danach können wir die oben
S. 56 gegebene provisorische Definition der Kunst in folgender
Weise erweitern:
Kunst ist die teils angeborene, teils durch Übung
erworbene Fähigkeit des Menschen, sich und an-
deren durch Werke seiner Hand oder seines Geistes
oder durch Produktionen seines Körpers einen Ge-
nuss zu bereiten, bei dem im Bewusstsein des Künst-
lers und des Geniessenden äusser der Lust kein
weiterer Zweck vorhanden ist.
VIERTES KAPITEL
DIE ANSCHAUUNGSILLUSION
WENN man die hier gegebene Definition betrachtet, so macht
sie zwar zuerst einen sehr vollständigen Eindruck. Aber
man überzeugt sich doch bei genauerem Hinsehen bald, dass sie
unvollständig ist. Zu diesem Zweck braucht man nur alle Künste
 
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