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Weiterbestehen des Gefühls ganz gleichgültig. Er kann verloren
gehen oder verbrennen, das Gefühl bleibt dasselbe. Beim Kunst-
genuss ist das Wesentliche das, dass er immer nur stattfinden
kann, wenn gleichzeitig eine Wahrnehmung des Kunstwerks statt-
findet. Der Kunstgenuss kann in voller Stärke nur zu stände
kommen, während dieses Kunstwerk als Wahrnehmungsbild im
Bewusstsein ist. Ein Bild kann man nur geniessen, während man
es sieht, ein Tonstück nur, während man es hört. Die Erinnerung
ist hier immer nur ein kümmerlicher Ersatz für die Gegenwart.
Das Unerschöpfliche des Kunstgenusses besteht eben darin, dass
man, so oft man ihn haben will, das Wahrnehmungsbild ganz
in sich aufnehmen, immer wieder in Natur, Leben, Gefühl u. s. w.
übersetzen muss.

DREIZEHNTES KAPITEL
DAS KUNSTSCHÖNE
WENN nun das Wesen des ästhetischen Genusses auf dem
gleichzeitigen Zustandekommen zweier Vorstellungsreihen
beruht, deren zweite mit Notwendigkeit aus der ersten hervorgeht,
so ist das Kunstschöne offenbar das, was diesen psychischen Vorgang
erzeugt und fördert. Kunstschön ist alles vom Menschen
Geschaffene sowie jede Produktion des mensch-
lichen Körpers, die den bekannten lusterregenden
Wechsel zweier Vorstellungsreihen hervor ruft.
Die Voraussetzung dafür ist nun erstens die Existenz eines
sinnlich Wahrnehmbaren und Wahrgenommenen, zweitens eines
Vorstellungsinhalts, mit dem der Anschauende an
dieses herantritt. Er muss durch Vererbung und Anpassung
ein Vorstellungs- und Gefühlsleben haben, dessen Elemente für
gewöhnlich in der Tiefe seiner Seele schlummern und durch die
Wahrnehmung des Kunstwerks in den Blickpunkt seines Bewusst-
seins gerückt werden. Wir wollen uns dies an einigen Beispielen
klar zu machen suchen.
 
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