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Lange, Konrad
Das Wesen der Kunst: Grundzüge einer realistischen Kunstlehre (1) — 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.47461#0189
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167

liehe und Sinnliche ist dabei blosse Vorstellung. In unseren Augen
war Pygmalion nur solange Künstler, als er in der Statue des
Weibes, die er geschaffen hatte, eine Statue sah. Er hörte auf
Künstler zu sein und war nur noch Mann, als er in ihr das Weib sah
und Aphrodite bat, sie lebendig zu machen. Damit ist alles gesagt.
Natürlich werden ja in der Praxis die Gefühle oft ineinander
übergehen. Denn der Mensch ist nun einmal ein ganzes und un-
teilbares Wesen, das man nicht in einzelne Schubfächer zerlegen
kann. Aber wenn es überhaupt einen Zweck hat die verschiedenen
Arten von Gefühlen theoretisch voneinander zu sondern, also auch
die ästhetischen Gefühle von den sinnlichen, ethischen, intellek-
tuellen u. s. w. zu scheiden, was doch die Ästhetik gerade will,
dann muss man diese Scheidung auch streng durchführen.
Ich schliesse dieses Kapitel mit einer Definition für Kunst, die
im Vergleich mit der früher (S. 72) gegebenen einerseits abgekürzt,
anderseits durch das Ergebnis der letzten Kapitel erweitert ist.
Kunst ist eine teils angeborene, teils durch Übung
erworbene Fähigkeit desMenschen, sich und anderen
ein auf Illusion beruhendes Vergnügen zu bereiten,
bei dem jeder andere bewusste Zweck als der des
Vergnügens ausgeschlossen ist.

SIEBENTES KAPITEL
DIE ILLUSION IN DER ANTIKEN
UND RENAISSANCEÄSTHETIK

DIE Überzeugung, dass es in der Kunst vor allem auf Illusion
ankomme, hat sich bei mir natürlich zunächst auf Grund
von Selbstbeobachtung gebildet. Ich glaube eben an mir be-
obachtet zu haben, dass ich nur durch solche Kunstwerke wirklich
gepackt werde, die mich zu einer starken Illusion anregen. Dazu
sind dann viele Urteile anderer gekommen, die ich gesammelt habe,
 
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