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dass eine scharfe Trennung überhaupt nicht mehr gemacht werden
kann. So giebt es z. B. Ästhetiker, die die Schönheit der Linien
mit der Annehmlichkeit der Muskelbewegung erklären wollen, die
das Auge braucht, um ihnen zu folgen. Andere meinen, beim
ästhetischen Genuss einer gerade aufgerichteten Säule vollzögen
wir selbst eine ganz kleine Bewegung des Aufrichtens, und wenn
wir auch einen gemalten Apfel nicht zu essen begehrten, so laufe
uns doch bei seinem Anblick ein ganz klein wenig Wasser im
Munde zusammen. Bei der Anschauung eines gemalten Blumen-
strausses röche man zwar die Blumen nicht geradezu, aber hätte
doch ein ganz klein wenig Blumengeruch in der Nase u. s. w.
Alles das kann ich aus eigener Selbstbeobachtung nicht be-
stätigen. Es giebt in der Kunst so viele eckige und scharf gegen-
einanderstehende Linien, dass man vieles in ihr, z. B. fast die ganze
Baukunst für hässlich erklären müsste, wenn die Schönheit der
Linien darauf beruhte, dass man ihnen mit den Augen leicht und
fliessend folgen könnte. Wenn man sich beim Anblick einer Säule
wirklich ein klein wenig aufrichtete, so müsste man beim Anblick
eines Giebels oder Satteldachs auch ein klein wenig hängen oder
schweben, was wohl Unsinn ist. Und ebensowenig wie mir jemals
beim Anblick eines Jan Davidze de Heern das Wasser im Munde
zusammengelaufen ist, habe ich jemals bei einem Daniel Seghers
den mindesten Blumengeruch in der Nase gehabt. Die Konsequenz
davon würde ja auch die sein, dass man beim Anblick einer
nackten Venus wenn nichts Schlimmeres so doch ein ganz klein
wenig von dem empfände, was ein kräftiger Mann einem nackten
Weibe gegenüber wohl zu empfinden pflegt.
Ich habe mir bisher immer eingebildet, diese Gefühle wären,
wo sie einmal neben den ästhetischen aufträten, was ja nicht un-
möglich ist, unästhetisch. Es scheint aber, dass man sie neuerdings
zu den ästhetischen rechnen will, ja dass man sich einbildet, den
intimen Charakter der Einfühlung nicht besser als durch diese
Vermengung des Sinnlichen mit dem Geistigen veranschaulichen
zu können. Natürlich wirkt das Sinnliche in gewisser Weise beim
Ästhetischen mit, insofern die Erinnerung an den sinnlichen Genuss
ja die Vorstellung der Dinge mit ausmacht. Aber dass man während
des ästhetischen Genusses diese körperlichen Gefühle, wenn auch
nur in entsprechender Abschwächung, wirklich hätte, und dass
darauf die ästhetische Lust beruhte, ist vollkommen ausgeschlossen.
Die ästhetische Anschauung ist ein rein geistiger Akt, alles Körper-
 
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