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naive Äusserungen der Lust und Unlust, in denen das Wort Illusion
vorkam, endlich zahlreiche Kritiken von Theateraufführungen,
Konzerten, modernen dichterischen Erzeugnissen, Gemäldeausstel-
lungen u. s. w., deren Verfasser ihrem naiven Gefühl durch starke
Hervorhebung der Illusion Ausdruck gaben. Daraus habe ich
dann den mehr logischen als psychologischen Beweis entwickelt,
der im Vorigen geführt worden ist.
Es fehlt jetzt noch der Hauptbeweis, nämlich der historische.
Was haben die grossen Künstler der Vergangenheit über die
Kunst gedacht? Dass die deutschen und niederländischen Maler
Realisten waren, weiss alle Welt. Man hat sie ja gerade deshalb
früher als Vertreter „niederer“ Kunstanschauungen bei der Bildung
ästhetischer Theorien unberücksichtigt gelassen. Ihre Urteile würden
also natürlich eine Bestätigung meiner These sein. Ich ziehe es des-
halb vor, die Beweise vorzüglich bei den „idealistischen“ Schulen,
d. h. bei den Griechen und Italienern zu holen. Da sehen wir denn
zu unserer grossen Überraschung, dass diese Künstler, denen man
in der Regel die Absicht zuschreibt, die Natur im stilistischen
Sinne zu verändern, zu steigern, zu verschönern, entschiedene
Illusionisten oder, wenn man lieber will, Realisten waren. Das
Wesen der Kunst bestand in ihren Augen geradezu in Nach-
ahmung der Natur, ja sogar in Erzeugung eines trügerischen
Scheins, einer wirklichen Täuschung.
Natürlich darf man sich, um das zu erkennen, nicht an die
philosophischen Theorien halten. Moralphilosophen und Sozial-
politiker wie Plato sind niemals im stände, die Kunst so wie sie
ist zu verstehen. Wer würde heutzutage ein ästhetisches System
auf den Theorien eines Tolstoj oder Ruskin aufbauen? Schon
der blosse Gedanke hat etwas Barockes. Ein Moralist kann die
illusionistische Seite der Kunst gar nicht richtig beurteilen, weil
er die Kunst nicht in erster Linie als Kunst auffasst, sie vielmehr
einem ethischen Ideale unterordnet. Ob er sie nun dabei nahezu
aus dem Idealstaat ausschliesst wie Plato, oder sie nur anerkennt,
wenn sie religiöse Gefühle darstellt, wie Tolstoj, oder gerade die
Perioden, in denen die reine Illusionskunst ihre höchsten Triumphe
gefeiert hat, als virtuosenhaft verachtet wie Ruskin, ist ziemlich
einerlei. Das sind nur verschiedene Stufen einer im Grunde
ausserästhetischen Auffassung der Kunst.
Deshalb darf man, um die antike Kunstauffassung kennen zu
lernen, nicht die Philosophen mit ihren ethischen Velleitäten und
 
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