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van Eyck, innerhalb der Machtsphäre der kunstsinnigen Herzoge von
Burgund, wenn nicht geboren, so doch bereits geübt wurde. Ob die
Bewegung, von den flandrischen Residenzen Brügge und Gent aus-
gehend, ihren Weg über Köln und Mainz nach Südosten nahm, das läßt
sich mit voller Sicherheit noch nicht entscheiden. Der auch von mir in
meiner Monographie über den Meister der Liebesgärten (p. 5) für wahr-
scheinlich erklärten Priorität der Niederländer stellt sich nach den
Ergebnissen der neueren Spezialforschung die gewichtige Tatsache
entgegen, daß der hervorragendste und talentvollste Stecher unter den
Primitiven, der Meister der Spielkarten, nicht wie man bisher annahm,
in Köln, sondern im Südwesten von Deutschland, etwa in Basel oder
in der unmittelbaren Nähe dieses vorgeschobenen Kulturzentrums zu
lokalisieren sei. Er hat nichts, was an die wohlbekannte Typik der van
Eyck oder anderer Niederländer erinnert, läßt sich auch mit keinem
der zuverlässig kölnischen Meister in Beziehung setzen, zeigt aber eine
auffällige Verwandtschaft mit jener bislang noch wenig bekannten
Gruppe schwäbischer Künstler: Hans Multscher, Lukas Moser und
Konrad Witz, deren Werke im vierten bis sechsten Jahrzehnt des
XV. Jahrhunderts die feinste Blüte der deutschen Kunst verkörperten.
Um den Meister der Spielkarten gruppiert sich aber auch die große
Zahl seiner Schüler und Nachahmer, voran die Meister von 1446 und
1462, deren oberdeutsche Abkunft schon früher erkannt wurde und
von denen der Erstere vielleicht in Basel tätig war. So gewinnt es
den Anschein, als ob die Kunst des Kupferstichs, von der Schweiz
oder dem schwäbischen Westen zunächst nach dem Elsaß ausstrahlend,
in Straßburg und Kolmar durch den Meister-^ °^°und Martin Schon-
gauer zu ungeahnter Höhe gebracht wurde1 und erst gegen Ende des
XV. Jahrhunderts, von da nach Osten reflektierend, sich bis in die
fränkischen Städte nach Würzburg, Eichstädt und Nürnberg fort-
pflanzte, um dort mit denWerken des größten Meisters, Albrecht Dürers,
ihren Abschluß zu finden.
1 Schmarsow nimmt für die Malerei gerade umgekehrt eine Beeinflussung der
deutschen Künstler durch die Hochburg der burgundischen Kunst: Dijon, an. (Die ober-
rheinische Malerei und ihre Nachbarn um die Mitte des XV. Jahrhunderts [1430—1460]
Leipzig 1903.1
van Eyck, innerhalb der Machtsphäre der kunstsinnigen Herzoge von
Burgund, wenn nicht geboren, so doch bereits geübt wurde. Ob die
Bewegung, von den flandrischen Residenzen Brügge und Gent aus-
gehend, ihren Weg über Köln und Mainz nach Südosten nahm, das läßt
sich mit voller Sicherheit noch nicht entscheiden. Der auch von mir in
meiner Monographie über den Meister der Liebesgärten (p. 5) für wahr-
scheinlich erklärten Priorität der Niederländer stellt sich nach den
Ergebnissen der neueren Spezialforschung die gewichtige Tatsache
entgegen, daß der hervorragendste und talentvollste Stecher unter den
Primitiven, der Meister der Spielkarten, nicht wie man bisher annahm,
in Köln, sondern im Südwesten von Deutschland, etwa in Basel oder
in der unmittelbaren Nähe dieses vorgeschobenen Kulturzentrums zu
lokalisieren sei. Er hat nichts, was an die wohlbekannte Typik der van
Eyck oder anderer Niederländer erinnert, läßt sich auch mit keinem
der zuverlässig kölnischen Meister in Beziehung setzen, zeigt aber eine
auffällige Verwandtschaft mit jener bislang noch wenig bekannten
Gruppe schwäbischer Künstler: Hans Multscher, Lukas Moser und
Konrad Witz, deren Werke im vierten bis sechsten Jahrzehnt des
XV. Jahrhunderts die feinste Blüte der deutschen Kunst verkörperten.
Um den Meister der Spielkarten gruppiert sich aber auch die große
Zahl seiner Schüler und Nachahmer, voran die Meister von 1446 und
1462, deren oberdeutsche Abkunft schon früher erkannt wurde und
von denen der Erstere vielleicht in Basel tätig war. So gewinnt es
den Anschein, als ob die Kunst des Kupferstichs, von der Schweiz
oder dem schwäbischen Westen zunächst nach dem Elsaß ausstrahlend,
in Straßburg und Kolmar durch den Meister-^ °^°und Martin Schon-
gauer zu ungeahnter Höhe gebracht wurde1 und erst gegen Ende des
XV. Jahrhunderts, von da nach Osten reflektierend, sich bis in die
fränkischen Städte nach Würzburg, Eichstädt und Nürnberg fort-
pflanzte, um dort mit denWerken des größten Meisters, Albrecht Dürers,
ihren Abschluß zu finden.
1 Schmarsow nimmt für die Malerei gerade umgekehrt eine Beeinflussung der
deutschen Künstler durch die Hochburg der burgundischen Kunst: Dijon, an. (Die ober-
rheinische Malerei und ihre Nachbarn um die Mitte des XV. Jahrhunderts [1430—1460]
Leipzig 1903.1