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Bewiesen ist damit natürlich nur die künstlerische Überlegenheit
des süddeutschen Kupferstichs über den niederländischen, während
der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts, nicht aber zugleich auch die
Priorität, denn es bleibt immerhin möglich, daß die zeichnerisch und
technisch sehr tiefstehenden Produkte des doch wohl niederländischen
Meisters des Todes Mariae noch um einige Jahre älter seien, als die von
hohem Schönheitssinn beseelten Arbeiten des Meisters der Spielkarten.

Allein die Frage nach dem Anteil Frankreichs an der Entwicklung
des Kupferstichs im XV. Jahrhundert ist noch keineswegs gelöst,
und selbst die eifrigen Bemühungen, die in den letzten Jahren
von Paris aus, namentlich durch Bouchots1 zielbewußte und emsige
Tätigkeit wie auch durch die von ihm angeregte Ausstellung der
französischen Primitiven von 1904 gemacht wurden, haben sie eher
zu verwirren als zu klären vermocht. Es liegt das zunächst wohl an
dem patriotischem Übereifer, mit dem unsere westlichen Nachbarn
versuchten, die ihnen angeblich von den deutschen Ikonographen
geraubten Inkunabeln des heimischen Bilddrucks zurückzuerobern,
und gerade hierin kann Bouchot bei aller Anerkennung seiner großen
Verdienste um die Aufhellung des Dunkels, das die französische Kunst
des XIV. und XV. Jahrhunderts im eigenen Lande umgab, der Vor-
wurf nicht erspart bleiben, viel zu weit gegangen zu sein. Erklärt er
doch in seinen „Zweihundert Inkunabeln der Bibliotheque nationale“2
eine große Anzahl unbestreitbar deutscher Holzschnitte, selbst solcher,
die deutsche Inschriften oder Ortsbezeichnungen, wie XrgprnBff, $frg
fialpd jr Ißibrarij, JfHäifr uilttP tragen, für französischen Ur-

sprungs, indem er auf Grund einer den Tatsachen gegenüber schwer
zu rechtfertigenden Hypothese behauptet, diese Legenden seien nach-
träglich in Deutschland mit Stampiglien aufgedruckt.

Ich bin weit entfernt, die Existenz einer ganzen Reihe französischer
Holzschnitte zu leugnen und war, soviel ich weiß, der Erste, der einen
mutmaßlich französischen Kupferstich des XV. Jahrhunderts veröffent-

1 Zu den folgenden Ausführungen sei ausdrücklich bemerkt, daß das Manuskript
dieser Einleitung schon vor dem unerwarteten Ableben des französischen Forschers
abgeschlossen wurde.

2 Les deux Cents Incunables xylographiques du Depart. des estampes. Paris 1903.

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