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lichte b Seither ist es mir auch gelungen, noch eine kleine Anzahl
anderer Stiche zu finden, die wahrscheinlich französischer Herkunft
sind und die weiter unten im Zusammenhang besprochen werden
sollen1 2. Aber die Pariser Ausstellung der Primitiven von 1904 hat
unwiderleglich bewiesen — und selbst Bouchot kann diese Tatsache
nicht leugnen3 —, daß unter der Herrschaft der burgundischen
Herzoge und während der Hofhaltung der Päpste zu Avignon die
französische Kunst einem Kreuzfeuer niederländischer und italienischer
Einflüsse ausgesetzt war, die eine strenge Scheidung des National-
rranzösischen von dem nur importierten Fremden sehr erschweren.
Die Frage spitzt sich meines Erachtens zu einer rein geographischen
zu: Kann man Dijon, Chalons und Besan^on, die Hauptstädte des
Herzogtums Burgund im XV. Jahrhundert, oder Metz und Nancy,
die zum Herzogtum Lothringen gehörten, einfach für Frankreich in
Anspruch nehmen? Diese Auffassung scheint mir ein wenig ana-
chronistisch. Wenn man freilich, wie Bouchot4, von der Voraus-
setzung ausgeht, daß Deutschland im XIV. und XV. Jahrhundert ein
Konglomerat von barbarischen Stämmen gewesen sei, die unter der
Regierung sich befehdender, armer und verschuldeter Fürsten keine
wahre Kultur, keinen Luxus, keine Kunst kannten, wenn man alle
Meisterwerke der Architektur, der Plastik und Malerei in deutschen
Landen mit der Geringschätzung des Römers, der von der „Provinz“
spricht, für traurige Versuche ausgibt, die französischen Künstler zu
kopieren, dann ist es allerdings schwer, sich mit solcher Vorein-
genommenheit auseinanderzusetzen. Bouchots mit staunenswertem
Fleiß zusammengetragenes Werk beweist —- ich kann das bei aller
persönlichen Verehrung für meinen als Verwalter seines Kabinetts so
liebenswürdigen Kollegen nicht verschweigen —,daß politische Partei-
nahme den Tod aller Wissenschaft bedeutet, und ich beklage es
aufrichtig, daß so viel Gelehrsamkeit, so viel durch ein langes, arbeits-
reiches Leben erworbene Spezialkenntnis, so viel Belesenheit und
1 Chronik für vervielfältigende Kunst II. (1889) p. 2 und 23.
2 Vergl. Taf. 41 und 42.
3 Vergl. p. 71—72 a. a. O.
4 p. 84 u. ff.
lichte b Seither ist es mir auch gelungen, noch eine kleine Anzahl
anderer Stiche zu finden, die wahrscheinlich französischer Herkunft
sind und die weiter unten im Zusammenhang besprochen werden
sollen1 2. Aber die Pariser Ausstellung der Primitiven von 1904 hat
unwiderleglich bewiesen — und selbst Bouchot kann diese Tatsache
nicht leugnen3 —, daß unter der Herrschaft der burgundischen
Herzoge und während der Hofhaltung der Päpste zu Avignon die
französische Kunst einem Kreuzfeuer niederländischer und italienischer
Einflüsse ausgesetzt war, die eine strenge Scheidung des National-
rranzösischen von dem nur importierten Fremden sehr erschweren.
Die Frage spitzt sich meines Erachtens zu einer rein geographischen
zu: Kann man Dijon, Chalons und Besan^on, die Hauptstädte des
Herzogtums Burgund im XV. Jahrhundert, oder Metz und Nancy,
die zum Herzogtum Lothringen gehörten, einfach für Frankreich in
Anspruch nehmen? Diese Auffassung scheint mir ein wenig ana-
chronistisch. Wenn man freilich, wie Bouchot4, von der Voraus-
setzung ausgeht, daß Deutschland im XIV. und XV. Jahrhundert ein
Konglomerat von barbarischen Stämmen gewesen sei, die unter der
Regierung sich befehdender, armer und verschuldeter Fürsten keine
wahre Kultur, keinen Luxus, keine Kunst kannten, wenn man alle
Meisterwerke der Architektur, der Plastik und Malerei in deutschen
Landen mit der Geringschätzung des Römers, der von der „Provinz“
spricht, für traurige Versuche ausgibt, die französischen Künstler zu
kopieren, dann ist es allerdings schwer, sich mit solcher Vorein-
genommenheit auseinanderzusetzen. Bouchots mit staunenswertem
Fleiß zusammengetragenes Werk beweist —- ich kann das bei aller
persönlichen Verehrung für meinen als Verwalter seines Kabinetts so
liebenswürdigen Kollegen nicht verschweigen —,daß politische Partei-
nahme den Tod aller Wissenschaft bedeutet, und ich beklage es
aufrichtig, daß so viel Gelehrsamkeit, so viel durch ein langes, arbeits-
reiches Leben erworbene Spezialkenntnis, so viel Belesenheit und
1 Chronik für vervielfältigende Kunst II. (1889) p. 2 und 23.
2 Vergl. Taf. 41 und 42.
3 Vergl. p. 71—72 a. a. O.
4 p. 84 u. ff.