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Kunsthaus Lempertz [Hrsg.]; Kunsthaus Lempertz [Mitarb.]; M. Lempertz' Antiquariat (P. Hanstein) [Mitarb.]
Math. Lempertz'sche Kunstversteigerung: Sammlung Frau G., ehem. Berlin: bedeutende englische Möbel, chinesische Keramik, Kunstgewerbe und Handzeichnungen; [Versteigerung: Mittwoch, den 28. April 1954] — Köln: Lempertz, Nr. 439.1954

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VORWORT

(Ins Deutsche übertragen)
Englische Möbel, vornehmlich des 17. und 18. Jahrhunderts, besitzen einen durchaus eigenen
Charakter. Obwohl sich die Kunsthandwerker in England häufig von kontinentalen Stilarten
beeinflussen ließen, kopierten sie niemals unmittelbar ein ausländisches Möbel. Der auslän-
dische Entwurf wurde vielmehr der englischen Eigenart angepaßt; das Ergebnis der britischen
Version eines französischen oder holländischen Entwurfs war im allgemeinen größere Klarheit
und Einfachheit.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verwandten bereits kontinentale Ebenisten eng-
lische Entwürfe, insbesondere durch die im Umlauf befindlichen Modelle von Thomas Chip-
pendale, George Hepplewhite und Thomas Sheraton angeregt.
Heute werden die Vorzüge der einfachen, aber oft überaus eleganten Entwürfe englischer
Möbel von den Sammlern besonders geschätzt. Die Folge ist eine erhebliche Wertsteigerung.
Zwischen den Weltkriegen waren englische Möbel hauptsächlich bei britischen und amerika-
nischen Sammlern begehrt; nunmehr finden sie auch Eingang in die Wohnungen kontinentaler
Sammler, vornehmlich Portugals, Italiens, Hollands und Belgiens. Aus diesem Gesichtspunkt
sind die im vorliegenden Katalog angeführten englischen Möbel allerdings von außergewöhn-
lichem Interesse, da sie zum Teil zu den besonders begehrten Sammlerstücken zählen.
Das Paar Charles 11-Stühle mit Rohrgeflecht (Nr. 3 und 4) gehörte wohl ursprünglich zu einem
Satz von Speisezimmerstühlen, der aus zwei Armlehnsesseln und sechs oder mehr Stühlen
bestand. Der Gedanke, einen Stuhl mit Rohrgeflecht zu versehen, um ihn nachgiebig und
bequem zu machen, entstand in England während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in
Anlehnung an eingeführte indo-portugiesische Strohgeflechtstühle mit Ebenholzrahmen. Bald
wurden sie in großer Menge hergestellt, teils zum eigenen Gebrauch, teils für den weltweiten
Export. Krone und Cherubim, die in die oberen Querhölzer der Rückenlehnen dieser Stühle
geschnitzt wurden, sind hier nicht — wie oftmals fälschlich angenommen — als Symbole der
Restaurationsaera aufzufassen; sie stellen vielmehr das überlieferte und allgemeingültige Sym-
bol des Gottesgnadenkönigtums dar.
Das furnierte Walnuß-Bureau (Nr. 5) mit seiner Breite von nur drei Fuß ist für den heutigen
Sammler von besonderem Interesse. Kaum ein anderes Möbel hat während der letzten fünf-
zehn Jahre eine so große Wertsteigerung erfahren. Das hier vorliegende Beispiel besitzt über-
dies noch den Vorzug originaler Beschläge; diese sind heute bei den meisten englischen Möbeln
dieser Art stilwidrig ergänzt.
Der Tallboy ist mit seinen ovalen Blumenmarquetterie-Füllungen nicht weniger beachtenswert
(Nr. 7). Obwohl nur zwei Blumenmotive verwandt worden sind, ist durch Spiegelverkehrung
der beiden auf Jedem Schubfach gegenüberliegenden Zeichnungen und durch geschicktes hori-
zontales und diagonales Austauschen der Paneele Abwechslung erreicht worden. Bemerkenswert
ist der Umstand, daß die Blumenmarquetterien in der Manier des 17. Jahrhunderts gestaltet
sind, obwohl der Schrank selbst erst um 1730 entstanden ist; daraus ist zu folgern, daß das
Möbel als Sonderanfertigung für einen Auftraggeber hergestellt worden ist, der sich mehr
von seinem persönlichen Geschmack als von der letzten Mode leiten ließ. Daß die Paneele
nicht von einem älteren Schrank genommen und in das Furnier dieses Stückes eingesetzt wor-
den sind, wird durch das Faktum bewiesen, daß der Tallboy eigens für die Füllungen entworfen
worden ist; denn alle Schubladen haben die gleichen Maße. Dieser Tallboy ist nämlich be-
zeichnenderweise das einzige bezeugte Beispiel aller englischen Tallboys, das gleiche Maße
 
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