Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1855

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29616#0391

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Viertes Kapitel. Baukunst im neunzehnten Jahrhundert.

377

Der Protestantismus hat seine weltgeschichtliche Bahn erst begonnen: seine
Mission ist es, jene Aufgabe zu lösen.

Wir haben hier nur in kurzen Zügen diesen geistigen Umschwung
anzudeuten, um den Punkt zu gewinnen, an welchen die Betrachtung der
heutigen Architektur anzuknüpfen ist. Jenem allgemeinen geistigen Wie-
deraufleben geht das speziell künstlerische zur Seite. Auf architektonischem
wie auf literarischem Gebiete ist Deutschland hier der Bannerträger der
neuen Bewegung. In unsrer Literatur repräsentiren Winckelmann, Lessing,
Herder, Göthe, Schiller das Erwachen jener geistvollen, auf tiefstes Er-
fassen der griechischen Antike gerichteten modernen Gesinnung. Die Ver-
mählung von Faust und Helena ist ein sinniges Bild von der Verschmelzung
modern-germanischen Geistes mit antik-hellenischer Bildung.

Die Architektur, die im Dienste eines aus unklarer Quelle geschöpften,
zuletzt unglaublich verwilderten Prinzips allen Zusammenhang in sich und
mit dem Lehen, dessen Ausdruck sie sein sollte, verloren hatte, folgte dem
allgemeinen geistigen Zuge. In der Anschauung, im treuen Studium der
neu entdeckten Werke aus griechischer Blüthezeit fand sie ihre Läuterung
und Wiedergeburt. Seit Stuart und Eevett begann ein eifriges, begeistertes
Messen und Zeichnen der antiken Reste, und die wissenschaftliche For-
schung war nun im Stande, die Geschichte der griechischen Baukunst in
ihren wesentlichsten Umrissen zu entwerfen.

Diese theoretisch-archäologischen Resultate ins wirkliche Lehen ein-
geführt, ihnen Körper und Seele gegeben zu haben, ist das unsterbliche
Verdienst S chink el’s (1781 —1841). Er erfüllte die entartete Architektur
zuerst wieder mit dem reinen, keuschen Hauch antik-hellenischer Werke;
er lehrte sie, die nach bacchantischem Taumeln erschöpft einherschwankte,
den elastischen, edel gemessenen Schritt griechischer Schönheit. Seine
Säulenhalle des (alten) Berliner Museums ist ein köstliches Zeugniss von
der Frische und dem feinen Geiste, mit welchem er die Antike wiederzu-
geben wusste. Aber schon am Sch au spiel hause zu Berlin, so geistvoll
hier die beschränkte griechische Formenwelt für die Gliederung eines Mas-
senbaues verwendet ist, zeigt sich doch die Unzulänglichkeit derselben für
die ausgedehnten , mannichfaltigen Bedürfnisse unseres modernen Lehens.
An der modernen Privatarchitektur Berlins tritt dieser Zwiespalt noch
entschiedner hervor. So fein auch oft der Sinn erscheint, mit welchem die
besondre Aufgabe vom Architekten gelöst ist, so haben die schlichten,
eleganten griechischen Formen doch nicht vermocht, die grossen Mauer-
flächen vor Monotonie und gründlicher Langweiligkeit zu schützen. Dazu
kommt noch ein verschlimmernder Umstand hinzu, der das Uebel zum ärg-
sten steigert. Wir meinen die Anwendung des Mörtels in der Weise, dass
er durch künstliche Fugeneinschneidung- den Anschein von Quaderfacaden
gewinnt. Diese innerliche Unwahrheit, die unter der Ungunst unsres reg-
nerischen Klima’s sehr bald zu abscheulichen Resultaten führt, und an den
Werken der dauerhaftesten Kunst die Undauerhaftigkeit permanent erklärt,
ist ohne Zweifel durch das einseitige Festhalten an den griechischen For-
men begünstigt worden. Denn diese sind für den Marmor erfunden und in
Marmor gedacht, und eignen sich schlecht für unser gröberes Material. Es
folgte daher auch natürlich , dass die Erfindungsgabe der Architekten sich
zu sehr der Ausbildung des Details hingab und darüber nicht selten den

Hegemonie

Deutschlands.

Neue Sich-
tung der
Architektur.

Schinkel.

Berliner

Privat-

architektur.

Material.
 
Annotationen