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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.29616#0390

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376

Sechstes Buch.

Fischer von
Erlach.

B. Neumann.

Bauten in
Dresden.

in Berlin
und

Potsdam.

Geistiger TTm-
Schwung.

Zeit. — Mehr in der borrominesken Barockweise befangen erscheint ein
Zeitgenosse Schlüters, Fischer von Erlach, der seit 1716 die Karl
Borromäus - Kirche zu Wien erbaute. — Etwas späterer Zeit gehört die
Thätigkeit Balthasar Neumann's an, der von 1720 bis 1 7 44 die fürst-
bischöfliche Residenz zu Würzburg in prunkvoll stattlicher Anlage auf-
führte . — InDresden ist die von Gaetano Chiaveri seit dem J. 17 36
erbaute Katholische Kirche ein interessantes Beispiel stattlichen
Barockstyles ; die volle plastische Bildung der Glieder, die etwas theatra-
lisch bewegten Statuen und der hohe, auf Säulenstellungen in verschie-
denen Stockwerken sich erhebende Thurm sind von ansprechender Wirkung.
Dagegen vertritt der seit 1711 unter König August dem Starken angelegte
Zwinger den üppigsten Rokokostyl in glänzendster Weise. — Hieran
schliessen sich die unter Friedrich des Grossen Regierung in Berlin und
Potsdam entstandenen Bauten , die grossentheils eine einfach tüchtige,
wenn auch im Detail etwas trockne Behandlung zeigen. Gegen Ende des
18. Jahrhunderts verfällt auch hier wie überall die Architektur einer un-
endlich nüchternen, charakterlosen Richtung, die sich in ihrer Ohnmacht
besonders klassisch dünkte.

VIERTES KAPITEL.

Die Baukunst im neunzehnten Jahrhundert.

Der Beginn des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnet im ganzen euro-
päischen Leben einen gewaltigen Umschwung. Die beiden vorhergehenden
Jahrhunderte hatten, im Geleit eines zügellosen Individualismus, alle festen,
allgemeinen Gesetze des sittlichen Daseins allmälig aufgelöst. In den staat-
lichen Verhältnissen spiegelte sich nur unbegrenztes Belieben des Einzel-
nen, das mit seiner Frivolität das gesellschaftliche Leben nach und nach
immer gefährlicher vergiftete. Die Folgen konnten nicht ausbleiben. Vor
dem gewaltsamen Umstürze der Dinge brachen die alten Verhältnisse des
staatlichen und gesellschaftlichen Lebens machtlos zusammen. Von da an
beginnt ein neuer Aufschwung. Die "Welt hat erkannt, dass schrankenlose
Willkür zu unheilvoller Auflösung führen muss. Sie sucht seitdem wieder
im Allgemeinen, in grossen Grundanschauungen ihren Halt zu finden. Es
ist eine Aufgabe von unendlicher Tiefe, von unermesslichem Umfange, den
ganzen Inhalt moderner wissenschaftlicher Erkenntniss zu einer Gesammt-
auffassung, die sich mit den innersten Grundlagen des Gemüths, der Em-
pfindung verschmelze, zu vereinigen, und das unfassbar reiche Leben der
Gegenwart nach seinem wirklichen Inhalte damit in Einklang zu setzen.
 
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