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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart (Band 1) — Leipzig, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.26745#0113
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Fünftes Kapitel. Kleinafiatifche Baukunft.

95

Kranzgefims mit der Hohlkehle fich ausfpricht: einer Form, der wir felbft in
Affyrien und Perfien begegnet find. Alle diele einfachften Elemente der Geftaltung
mögen wohl dem höchften jüdifchen Alterthum angehören, wie fie denn vielleicht
auch auf die äußere Ausftattung des falomonifchen Tempels einen Rückfchluß
zulaffen. Selbftändige, dem jüdifchen Boden eigenthümliche Kunftformen ver-
mögen wir in jenen einfachen Denkmalen nicht nachzuweifen. Die zweite Gruppe
der Gräber von Jerufalem muß dagegen einer Zeit angehören, in welcher die
vollendete griechifche Kunft lieh über die Völker der alten Welt auszubreiten
begann. Wie diefelbe in Italien ungefähr um die gleiche Zeit, etwa 250 v. Chr.
eindringt, fo fehen wir es auch in Paläftina; und wie die erften Epochen diefer
helleniftifchen Kunft auch in Rom die ftrengeren, einfacheren Ordnungen des
dorifchen und ionifchen Styles fall ausfchließlich begünftigen, und die prunk-
vollere korinthifche Bauweife erft von der beginnenden Kaiferzeit mit Begierde
aufgenommen wird, fo finden wir es in den jüdifchen Monumenten. Auch jene
Mifchung der Ordnungen ilt für eine folche Zeit des beginnenden Studiums be-
zeichnend. Wie mifchte man in unferer Zeit gothifche und romanifche Elemente,
ehe man beide ftreng fcheiden und confequent anwenden lernte! Dabei war es
in Paläftina naheliegend, die althergebrachten ägyptifchen Ueberlieferungen feft-
zuhalten, vor Allem das Kranzgefims und felbft in vereinzeltem Falle die Pyra-
mide. Was lieh inzwifchen an felbftändigem Kunftgeift entwickelt hatte, floß in
reichem Laubfchmuck mit ein, für welchen. man fich an die Vegetation des
Landes, an das Weinblatt und die Traube, an Oel- und Palmzweige, an Epheu-
und Lorbeerblätter hielt. Wie gefagt, es war das ftrenge mofaifche Bildverbot,
welches die jüdifche Kunft zur Laubornamentik trieb und hier eine vegetative
Flächendecoration hervorrief, die dem Kunftcharakter des übrigen Alterthumes
fremd ift. Unter ähnlichen Vorausfetzungen follten fpäter die Araber, jener in
vielfacher Beziehung den Israeliten verwandte Volksftamm, dies Prinzip des Flächen-
fchmuckes weiter ausbilden.

FÜNFTES KAPITEL.
Kleinasiatische Baukunst.

Kleinaften war in früher Zeit fchon der Schauplatz einer reichen und man- Das Land,
nichfachen Culturentwicklung. Auf drei Seiten vom Meere umflolfen und von
fruchtbaren, anmuthigen Infein umgeben, unter einem der fchönften Himmels-
ftriche, der alle Bedingungen eines höheren Dafeins in Fülle gewährt, mußte das
Land durch feine vorgefchobene Lage, durch die ausgedehnte Küflenbildung,
durch die nahe Verbindung mit dem Orient und Occident bald zur Anfiedelung
locken. Es fanden denn auch von allen Seiten frühzeitig Einwanderungen ftatt,
fowohl von arifchen und lemitifchen als auch von thracifchen und griechifchen
Stämmen, die zumeift an den Küften und auf den Infein fich anfiedelten und den
Grund zu einer mannichfaltigen Cultur legten. Die weit ausgedehnte und durch
 
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