DRITTES KAPITEL.
Die altchristliche Baukunst bei den Germanen,
Als nach den Stürmen der Völkerwanderung die germanifchen Stämme in
ihren neuen Wohnfitzen lieh befeftigten, fanden fie fich als culturlofe, natur-
wüchfige Barbaren in Umgebungen, welche trotz aller Verheerungen mit mäch-
tigen ZeugnilTen antik-römifcher Cultur und den erden Leitungen altchriftlicher
Kunft angefüllt waren. Da fie in ihren Wäldern nur einen rohen Bedürfnißbau
geübt hatten, fo brachten
fie kein neues architekto-
nifches Element, wohl aber
jugendliche Empfänglich-
keit und vollkräftige Na-
turfrifche mit. Sie ver-
hielten lieh daher den vor-
handenen Schöpfungen ge-
genüber naiv aufnehmend
und nach ahmend. Aber
gerade aus diefem jung-
fräulichen Boden des ger-
manifchen Volksgeiftes
füllte die Saat antiker
Ueberlieferungen zu neuer,
nie geahnter Herrlichkeit
auf keimen. Werden wir
diefenEntwicklungsprozeß
in feinen einzelnen Stadien
fpäter zu verfolgen haben,
fo können wir hier einft-
weilen nur von den flam-
melnden Verfuchen, in
fremder Kunftfprache zu
reden, berichten. So we-
nig wir auch Eigenthüm-
liches, Neues finden, fo hat doch andererfeits die Energie, der rege Eifer, mit
welchem die kindlich unentwickelten Völker lieh einer durch ihre Pracht und
Größe überwältigenden Bildung hingeben, der unverdrolfene Muth, mit welchem
fie ihre erften Schritte auf der Bahn höherer Cultur wagen, etwas Felfelndes.
Daß bei der Roheit jener Naturvölker die Berührung mit den Reffen einer
abgelebten Cultur zuerft keine erfreuliche Mifchung hervorzurufen vermochte, war
natürlich. Die angeborene, durch die langen Kämpfe gefteigerte Wildheit des
Sinnes entfprach wenig den ausgebildeten Formen römifcher Sitte, Gefetze und
Einrichtungen. Gleichwohl waren fie dem im Gährungsprozeffe feiner erften
26*
Fig. 356. Thürkapitäl am Palafte Theodorichs zu Ravenna. (Rahn.)
Die germani-
fchen
Völker.
Mangel an
Cultur.
Die altchristliche Baukunst bei den Germanen,
Als nach den Stürmen der Völkerwanderung die germanifchen Stämme in
ihren neuen Wohnfitzen lieh befeftigten, fanden fie fich als culturlofe, natur-
wüchfige Barbaren in Umgebungen, welche trotz aller Verheerungen mit mäch-
tigen ZeugnilTen antik-römifcher Cultur und den erden Leitungen altchriftlicher
Kunft angefüllt waren. Da fie in ihren Wäldern nur einen rohen Bedürfnißbau
geübt hatten, fo brachten
fie kein neues architekto-
nifches Element, wohl aber
jugendliche Empfänglich-
keit und vollkräftige Na-
turfrifche mit. Sie ver-
hielten lieh daher den vor-
handenen Schöpfungen ge-
genüber naiv aufnehmend
und nach ahmend. Aber
gerade aus diefem jung-
fräulichen Boden des ger-
manifchen Volksgeiftes
füllte die Saat antiker
Ueberlieferungen zu neuer,
nie geahnter Herrlichkeit
auf keimen. Werden wir
diefenEntwicklungsprozeß
in feinen einzelnen Stadien
fpäter zu verfolgen haben,
fo können wir hier einft-
weilen nur von den flam-
melnden Verfuchen, in
fremder Kunftfprache zu
reden, berichten. So we-
nig wir auch Eigenthüm-
liches, Neues finden, fo hat doch andererfeits die Energie, der rege Eifer, mit
welchem die kindlich unentwickelten Völker lieh einer durch ihre Pracht und
Größe überwältigenden Bildung hingeben, der unverdrolfene Muth, mit welchem
fie ihre erften Schritte auf der Bahn höherer Cultur wagen, etwas Felfelndes.
Daß bei der Roheit jener Naturvölker die Berührung mit den Reffen einer
abgelebten Cultur zuerft keine erfreuliche Mifchung hervorzurufen vermochte, war
natürlich. Die angeborene, durch die langen Kämpfe gefteigerte Wildheit des
Sinnes entfprach wenig den ausgebildeten Formen römifcher Sitte, Gefetze und
Einrichtungen. Gleichwohl waren fie dem im Gährungsprozeffe feiner erften
26*
Fig. 356. Thürkapitäl am Palafte Theodorichs zu Ravenna. (Rahn.)
Die germani-
fchen
Völker.
Mangel an
Cultur.