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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart (Band 1) — Leipzig, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.26745#0130
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Erftes Buch.

Grundplan ift auf einen thurmartigen Bau (Vimana) befchrankt, welcher die Cella
mit dem Bilde des Gottes enthält, und deffen Eingang eine viereckige Halle bildet.
In diefen Tempeln drängt lieh die Nachahmung von Holzconftructionen wieder
augenfcheinlich hervor, und die Form des Hauptgebäudes ift fo abweichend von
denen der übrigen Hindupagoden, daß man fie mit koloffalen aufgerichteten Fäf-
fern vergleichen kann, nur daß die Wände in vier convexe Seiten gebrochen find.
Solcher Tempel zählt man zu Bobaneswar noch über hundert, von denen der
ältefte, die «große Pagode», im Jahre 657 nach Chr. erbaut worden ift. Ver-
wandter Art ift die fchwarze Pagode zu Kanaruc und manches andere noch
Hindutempel jetzt erhaltene Denkmal. In Ober-Indien haben die Tempel eine ganz ähnliche
Indien. Form, nur daß, wie in der Pagode zu Barolli, deren prachtvolle Ueberrefte in
einer romantifchen Wildniß unfern der Wafferfälle des Chumbull liegen, ftatt der
gefchloffenen Vorhalle eine offene auf phantaftifch gefchmückten Pfeilern ange-
ordnet ift. Man fchreibt ihn dem 8. oder 9. Jahrh. unferer Zeitrechnung zu.
jainatempei. Eine befondere Erwähnung verdienen die Bauten der Jaina’s. Es ift dies
eine Sekte, die lieh fowohl von den Buddhiften als von den Brahmanen unter-
fcheidet, obwohl es Ich eint, als ftänden ihre religiofen Anlchauungen denen der
erfteren nicht fehr fern. Allerdings erkennen fie Buddha nicht an, wohl aber
eine Reihe von 24 Heiligen, unter denen Parswanath und Mahavira hervorragen.
Da letzterer von ihnen als Lehrer und Freund Buddha’s anerkannt wird, lo mag
ihre Religion im Wefentlichen der buddhiftifchen verwandt fein. Ihre Denkmäler
findet man in den Gebieten von Myfore und Guzerat. Während erftere bis jetzt
nicht unterfucht worden find, berichtet Ferguffon über mehrere bedeutende Mo-
numente des letzteren Landftriches. Den Tempeln um Janaghur und Ahme-
dabad, fowie jenem zu Somnath wird ein hohes Alter zugefchrieben. Einer
beträchtlich jüngeren Epoche der indifchen Kunft gehören dagegen die Tempel
des Berges Abu, welcher feine Granitmaffen über 1500 M. hoch aus der Ebene
erhebt. Unter ihnen find zwei ganz von weißem Marmor erbaut und mit glän-
zenden Bildwerken gefchmückt. Der ältere im Jahr 1032 durch einen fürftlichen
Kaufmann Vimala Sah gegründet, bildet ein Rechteck von 42,5 zu 27,5 M., das
rings mit Mauern nach außen abgefchloffen ift, nach innen aber fich gegen einen
freien Hof durch Säulenhallen öffnet, hinter welchen 55 Cellen, im Anfchluß an
die Umfaffungsmauern angeordnet find. In jeder diefer Cellen, welche an budd-
hiftifche Klöfter erinnern, fieht man das Bild eines mit gekreuzten Beinen fitzen-
den Heiligen. In der Tiefe des Hofraums erhebt fich, mit reichem Pyramiden-
dache bekrönt, die Cella, zu welcher eine großartige dreifchiffige, auf 48 Pfeilern
ruhende, in Kreuzgeftalt fich ausbreitende Vorhalle führt. Wo die Kreuzarme
derfelben zufammentreffen, ift ein etwa 8,2 M. weites Achteck gebildet, welches
auf acht Pfeilern eine prachtvolle Kuppelwölbung bedeckt. Um die marmornen
Architrave zu unterftützen, fteigen von den Kapitalen der Pfeiler diagonale Stützen
empor, welche, obwohl ebenfalls in Marmor ausgeführt, durchaus den Charakter
von Holzconftructionen tragen (Fig. 84). Diele originelle Aufnahme des Kuppel-
baues und feine Verbindung mit einer an buddhiftifche Klofteranlagen erinnernden
Dispofition macht die wefentlichlle Eigenthümlichkeit der Jaina-Bauten aus*).

*) Vergl. über diefen ganzen Abfchnitt FergiiJJon a. a. O., der mit grofser Vorliebe den phan-
taftifchen Schöpfungen indifcher Kunft nachgegangen ift und in feinen Unterfuchungen derfelben
ebenfo befonnen, wie in feiner Anerkennung ihrer «Schönheiten» überfchwänglich erfcheint.
 
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