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Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart (Band 1) — Leipzig, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.26745#0269
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ZWEITES KAPITEL.

Die etruskische Baukunst.

Die Griechen traten vom Schauplatze des gefchichtlichen Lebens ab, um in Gefchicht-
der unterfchiedlofen MaiTe des römifchen Weltreiches aufzugehen. Aber he gingen Steilung,
nicht darin unter. Obwohl unterjocht, prägten he ihren Behegern den Stempel
ihrer Cultur fiegreich auf. Befonders aber traten die Römer die Erbfchaft deffen
an, was jenes hochbegabte Volk in den bildenden Künften hervorgebracht hatte,
nicht allein indem he die Fülle idealer Schöpfungen, mit welchen die griechifchen
Städte und Gebiete überreich prangten, als willkommene Kriegsbeute heim-
fchleppten, um ihre Tempel und Paläfte damit zu fchmücken, fondern noch weit
mehr, indem he den Styl jener Kunft auf die eigene übertrugen. Aber es fehlte
auch nicht an felbftändigen einheimifchen Elementen, namentlich in der Archi-
tektur, mit denen dann die griechifchen Formen eine eigenthümliche Verbindung
eingingen. Forfchen wir nach dem Urfprung jener einheimifch italifchen Kunft-
weife, fo werden wir auf die Etrusker geführt, die demnach eine beachtens-
werthe Zwifchenftellung in der Gefchichte der Kunft einnehmen. Nur aus der
Kenntniß griechifcher und etruskifcher Architektur wird das Verftändniß der
römifchen gewonnen.

Unter den alten Völkern Italiens nehmen die Etrusker eine hochft merk- Charakter
würdige, in vieler Beziehung rathfelhafte Stellung ein. Ihre früheften Bauwerke Volkes,
zeigen eine unverkennbare Aehnlichkeit mit den fogenannten kyklopilchen Denk-
mälern, die wir auf dem Boden Griechenlands verbreitet fanden. Selbft in ihren
fpäteren Werken fleht die Kunft der Etrusker dem Charakter jener alten Monu-
mente nahe, fo daß es fcheint, als ob he ihn zu einer höheren Entwicklung
durchgeführt haben, während umgekehrt der Geift der eigentlich griechifchen
Kunft dem jener älteren gerade entgegengefetzt war. Auch im Charakter des
etruskifchen Volkes Anden wir einen entfchiedenen Gegenfatz gegen den der
Griechen. Erhob fleh bei diefen Alles zur Höhe einer idealen Anfchauung, fo
hafteten die Etrusker an einer einfeitig verftändigen, reflectirenden Sinnesweife.

Diefe fprieht fleh klar in der Geftalt ihres ftaatlichen Lebens aus. Der Trieb nach
individueller Entwicklung, dies Erbtheil der abendländifchen Völkerfamilie, wrar
ihnen mit den Griechen gemeinfam und gab auch bei ihnen einer Anzahl von
Städten das Leben, welche fleh einer bürgerlich freien Verfaflung erfreuten. Allein Verfairung.
die Verbindung der einzelnen unter einander war einestheils nicht durch folche
ideale Bande geknüpft wie bei den Griechen durch die gemeinfamen heiligen
Spiele, entbehrte alfo jenes höheren begeifternden Schwunges; auf der anderen
Seite aber war fle auch nicht fo locker, nicht fo fehr beeinträchtigt durch den
Trieb nach perfönlicher Selbftändigkeit der Einzelftaaten wie dort, londern ftreng
und ftraff angezogen durch gefetzliche Beftimmungen, durch das Recht feierlicher
Verträge. Die nüchtern verftändige Richtung diefes Volkes, die weniger in einer
idealen Begeifterung als vielmehr in deutlich vorgezeichneten Satzungen die Rieht-
 
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