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Seite 12
Tafel 6

der Heiligkeit, wie die Exempel Matth. 23 klar anzeigen,
daß hypocrita sei ein schädlicher Betrüger. Denn Sankt
Hieronymus sagt, daß gedichtete Heiligkeit ist zwie-
fache Bosheit. Darum heißt hypocrisis Falsch, hypo-
crita ein Kind des Verderbens, ein falscher, verzweifelter
Bube. Lucas Maler heißt einen solchen Buben einen
heiligen Schalk. Heuchler ist zu dünn und schwach.“

(11./12. 4. 1539)

7. Des menschlichen Herzens Unersättlichkeit,
und es wird doch eines Dinges bald überdrüssig

. . . Und sagte Anno 1542 Doktor Luther darauf: ,,Als
Lucas Cranach Maler der Ältere sein Weib genommen
hatte und die Hochzeit wäre gehalten gewesen, da hätte
er immerdar bei der Braut der naheste sein wollen. Da
hatte er einen guten Freund gehabt, der hat ihn eine
Weile aufgehalten und gesagt: Lieber, tue nicht also!
Ehe ein halbes Jahr hingeht, wirst du fein gar genug
haben, und es wird keine Magd im Hause sein, du wirst
sie lieber haben denn dein Weib. Und es geht auch also.
Denn praesentia odimus, absentia amamus 10. Davon sagt
auch Ovidius: Quod licet, ingratum est, quod non licet,
acrius urit 11. Das ist imbecillitas nostrae naturae, quod
caro praesens bonum non agnoscere potest, sed solus
spiritus agnoscit 12. So kommt denn der Teufel auch dazu
und wirft in [den] Weg odia, suspiciones und böse
concupiscentias 13 auf beiden Seiten; daher kommt dann
das Weglaufen im Ehestand. Darum so ist ein Weib
wohl bald genommen, aber dasselbe stets lieb zu haben,
das ist donum Dei 14 . . .“

10 . . . wir hassen das Gegenwärtige und lieben das Abwesende.

11 Was man darf, macht wenig Spaß, was man nicht darf, be-
drückt einen empfindlicher.

12 . . . die Schwäche unserer Natur, weil das Fleisch das Gegen-
wärtige nicht erkennen kann, sondern nur der Geist es erkennt.

13 . . . Haß, Argwohn und böse Gelüste . . .

14 . . . eine Gabe Gottes . . .

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