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Mannheimer Abendzeitung. Landtags-Bericht — 1848

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Nr. 11 - Nr. 19
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https://doi.org/10.11588/diglit.47792#0036
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Aus der
Motion des Abg Helmreich, Einführung
einer neuen Gewerbeordnung betr.
(Zehntr Sitzung vom 14. Jan.)
Weun es sich um eine neue Gewerbeordnung han-
delt, so geht dies eine sehr zahlreiche Klasse des badischen
Volkes an, denn schon der Zahl nach ist unsere gewerb-
treibende Bevölkerung nicht gar viel geringer, als die
ackerbautreibende. Erwägt man aber dazu noch den
ungleich höheren Werth der Jndustrieerzeugnisse gegen-
über den Ackerbauprodukten, so sind die Gewerbe sicher
im Uebergewicht. Will man auf den rechten Standpunkt
gelangen, von welchem aus die vorliegende Frage allein
gründlich zu lösen ist, so muß man das ganze Gebiet
der Stoffveredlung von der ersten Bearbeitung des rohen
Materials bis aufwärts zum Kunstwerke ins Auge fassen.
Und dann wird man zu der Ueberzeugung kommen, daß
die Gewerbe wie der Ackerbau nur in der vollen Frei-
heit ihr Heil finden.
Die Zunftverfassungen sind zusammengefallen. Und
welches waren denn die Blitze, von denen die einst so
starke Elche des Zunftwesens getroffen wurde? Die
Reformation war es zuerst und der 30fährige Krieg,
dann die Erbfolgekriege und der 7jährige Krieg, was
die Zunftverfassungen brach. Die französische Revolution
vollendete das Werk, und die förmliche Gewerbfreiheit
nahm in Frankreich ihren Anfang. Preußen führte 1810
zuerst in Deutschland allgemeine Gewerbfreiheit ein.
Einzelne Reste des Zunftwesens haben sich erhalten.
Wer wohl würde es ernstlich bedauern, wenn im Laufe
der Zeit auch diese vollends untergegangen wären?
Als England Nordamerika zwingen wollte, alle In-
dustrieerzeugnisse von England zu beziehen, kam die Re-
volution. Ist es blos von ungefähr, daß gerade da-
mals der Erfindungsgeist so mächtig sich zu regen be-
gann, daß die Maschinen eine ganz neue Epoche der
Arbeit hervorriefen? Die Maschine wird die Brücke zur
Emanzipation des ganzen menschlichen Geschlechtes bauen,
und hier voran zu schreiten ist vorzugsweise der weltge-
schichtliche Berus Deutschlands. Leider sehen wir aber,
daß noch kaum ein Zeichen eines solchen großartigen
Nationalbeginnens sich blicken läßt. Sind irgendwo die
Männer fleißiger, geschickter, die Frauen haushälterischer,
die Natur reicher, als bei uns? und hier sollte eS uns
an Arbeitsleuten fehlen?
Es bedürfte nur des kräftigen Willens eines begei-
sterten Fürsten, eines Ministeriums, und der Anfang ,
wäre gemacht!
Betrachten Sie aufmerksam die Mitte Europa's, so
finden Sie hier lauter kleinere Staaten, die an sich nicht !
ausgedehnt genug sind, um in Handel und Gewerbe das
Höchste zu erreichen, um politisch die Bedeutung unab-
hängiger Großstaaten zu erlangen; aber fassen Sie diese
Staaten zu einem wahrhaftigen Staatenbund zusammen,
so kann er der Welt Krieg und Frieden diktiren. Wird
die Forderung einer großartigen merkantiiischen und po-
litischen Einheit dieser Staaten Mitteleuropas nicht er-
füllt, reiht sich an die uationalökonomische Kräftigung

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durch Unterscheidungszölle und verbesserten Zolltarif nicht
auch die sittliche, indem man den großen geistigen An-
forderungen der Gegenwart ihr Recht gibt, dann wird
Deutschland beim ersten Kriege das Loos Polens theilen,
und keine Hand wird sich zum Schutze von Thronen er-
heben, die nur über Bettler haben herrschen wollen, um
Gnadengeschenke austheilen zu können. Vorerst aber
sehen Deutschlands Zustände denen Irlands ähnlich. Der
Ackerbau kann keine rechte Frucht tragen, wenn ihm nicht
kräftig blühende Gewerbe zur Seite stehen. Nur im ge-
werbfleißigen Lande findet der Bauer den wahrhaft loh-
nenden Markt. Die Verhältnisse der Gegend von So-
lingen liefern uns hierzu die statistischen Belege.
In Ihre Hand ist es auf diesem Landtage gelegt,
uns vor englischer Aussaugung zu bewahren, und Sie
werden es wissen, welche politische Vortheile mit des
nationalökonomischen Hand in Hand gehen. Und doch
kann die durch blose Unterscheidungszölle zu gewinnende
Unabhängigkeit vom Auslande nur der Grund nicht die
Vollendung von einer großartigeren Organisation der
heimischen Industrie seyn.
Man wird mir einwenden, daß gleichzeitig mit der
Beförderung des Fabrikwesens auch manch schweres Un-
heil für die ganze Bevölkerung einziehen werde; Ver-
brechen, Entsittlichung, das Fabriken-Proletariat, Kom-
munismus, Kapitalienherrschaft — das sind die Nacht-
seiten, momit man uns zu schrecken sucht. Es entsteht
aber nur die Frage, ob dieses unheilvolle Gefolge nicht
vermieden werden könne, wenn man nur die Industrie
durch fremde Erfahrung gewitzigt, besser organisirt, als
in andern Ländern?
Alles Gewerbe läse sich von der Seite einer mecha-
nischen, oder einer geistigen Arbeit auffassen. Unsere
meiste Gewerbthätigkeit fällt noch unter den ersten Stand-
punkt; mir müssen aber dahin kommen, daß die Maschine
uns alle rein mechanische Handarbeit abnimmt, und so
die ganze Industrie zu einem vorwiegend geistigen Ge-
schäfte wird. Ist Das ganz und in allen Stücken er-
reicht, dann wird das goldene Zeitalter wiederkehren, das
Zeitalter des tausendjährigen Friedens, der allgemeinen
Handelsfreiheit, der allgemeinen Republik.
Das erste Mittel zur Förderung des Gewerbes liegt
in einer höhern und länger andauernden, mindestens bis
ins 16. oder 18. Jahr sich erstreckenden Schulbildung.
Die mangelnde Bildung ist gar oft die Wurzel alles
Uebels für unsere Handwerker. Es gibt nur noch zwei
Klassen in unserer Gesellschaft — die Gebildeten und
die Ungebildeten, und zur erster« soll auch der Gewerbs-
mann zählen.
Als zweites Mittel zur Gewerbeförderung nenne ich
Ueberwachung der Fabriken in der Weise, daß von Zeit
zu Zeit ermittelt werde, ob auch auf Gesundheit und
Wohlfahrt der Arbeiter Rücksicht genommen ist, ob sie
nicht systematisch entsittlicht und durch nichtsnutzige Kunst-
griffe in allmählige Verarmung gestürzt werden.
(Fortsetzung folgt.)
 
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