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Gründe haben mich eher wieder zweifelhaft als fest ge-
macht. Daß der Staat ein Recht habe, auf Todesstrafe
zu erkennen, ist unzweifelhaft; man kann dieß dann nur
läugnen, wenn man die Zurechnungsfähigkeit läugnet.
Der Herr Motionssteller hat auf Störungen des Ge-
müthslebeus durch physische Einwirkungen gesprochen.
Aber könnte man nicht mit gleichem Rechte auf moralische
Störungen Hinweisen? Könnte man nicht sagen: nicht
der Verbrecher, sondern die Ordnung, oder vielmehr die
Unordnung der Gesellschaft, welche einen Menschen zum
Verbrechen trieb, sei schuldig? Dann würde man aber
doch nie ein Verbrechen strafen können! Der Abg.
Rettig, wenn er in seinem Garten ein Unkraut findet,
fragt gewiß nicht, woher dieß Unkraut komme; er reißt
es eben aus! — Freilich wohl kann man von der Un-
sicherheit des Beweises reden. Diese Unsicherheit liegt
aber im Wesen aller menschlichen Einrichtungen.
Man wird einem Andern nie in's Herz schauen kön-
nen, Das ist richtig. Aber wir können deswegen auf
die Strafe nicht verzichten; und wo Einer schuldig ge-
sprochen ist, da muß das Urtheil auch ausgeführt wer-
den. Immerhin kann man über die Zweckmäßigkeit
der Todesstrafe streiten. Daß sie nicht nothwendig sei,
ist gewiß; denn ein Staat befindet sich sicher nicht dem
Verbrecher gegenüber im Stande der Nothwehr, wie
Dieß ost behauptet wurde.
Mir kömmt es einzig darauf an, ob das öffentliche
Rechtsgefühl Sühnung durch die Todesstrafe verlangt,
oder nicht. Verlangt es dieselbe, so will ich sie beibe-
halten wissen; im umgekehrten Fall muß ihre Abschaf- !
fung verlangt werden. Dabei ist sedoch zu prüfen,
welche Aeußerungen der Volksstimme dem Rache-, und
welche dem Rechtsgefühle zuznschreiben sind. Denn gar
ost verlangt mau im Namen der Humanität Abschaffung
der Todesstrafe, während im einzelnen Fall die öffentliche
Stimme rachsüchtig den Tod des Verbrechers fordert.
Die religiöse Rücksicht, welche den Abg. Mez ge-
leitet hat, müßte vielleicht eher zu Gunsten der Motion
stimmen. Das religiöse Gefühl hat doch auch seine
Entwicklung, und kann zuletzt sich auf den Standpunkt
der Humanität stellen.
Welcker: Der Abg. Mez hat in seinem achtbaren,
stttlichreligiösen Gefühl an die Bibel erinnert. Aber er
hat nicht bedacht, daß der Satz, von welchem er sprach,
in dem alten Testament, in der altsüdischen Gesetzgebung
steht, die durchaus abgeschafft ist und in der ganzen ge-
bildeten Welt nirgends mehr Anklang findet. Heißt es
nicht auch in jener hebräischen Gesetzgebung: „Wer Gott
läugnet, der soll gesteinigt werden?" — Müßte man es
nicht als durchaus verkehrt anseheu, wenn heute solche
Gesetze wieder Geltung haben sollten?
(Mez schüttelt den Kopf.)
Jesus richtete auch jenes Weib, das die große
Sünde des Ehebruchs auf sich geladen hatte, nicht in
dem althebräischen Sinne! Heißt es doch auch: „Rich-
tet Nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet!" Wer
wollte so vermessen sein, Dem, der gefehlt hat, zu sa-
Ken: nicht die Gesellschaft — nein Ds, Du allein bist
schuldig an deinem Verbrechen! — Der Herr Regie-
rungskommissär hat behauptet, es gebe Verbrechen, deren
Schuld zu tragen schlimmer sei, als der Tod. Gut,
hat Gott solche Regungen des Gewissens geschaffen,
dann wollen wir sie auch nicht durch den Tvdesstreich
unterdrücken, der Alles abschneidet. Der Herr Regie-
rungskommiffär hat auch gesagt, die Strafe müsse auch
ihre Spitze, ihren Ernst haben. Das heißt: in letzter
Instanz muß etwas Furchtbares, etwas Abschreckendes
da sein, womit man z. B. gegen politische Verbrecher,
gegen Hochverräter verfährt. Aber die politischen Ver-
brecher sind entweder Lumpenhunde, oder Ehrenmänner,
die ihr Vaterland lieben; und die Letztern schrecken Sie
mit dem Tode nicht ab!
(Stimmen: Sehr gut!)
Auch die ärgsten gemeinen Verbrecher schrecken Sie
nicht ab; denn Die spielen um ihr Leben, sind muthiger,
als Sie. — Wäre selbst das öffentliche Urtheil noch für
Beibehaltung der Todesstrafe, so müßte man sie den-
noch abschaffen, um nut gutem Beispiel voranzugehen.
Aber das öffentliche Urtheil steht nicht mehr so weit zu-
rück! Ein sittlich und rechtlich achtbares Volk hat die
Todesstrafe nicht mehr nöthig; und ich halte das badi-
sche Volk für ein solches. — Man kann wohl einwen-
den: so gut der Staat seine Mitbürger in Kriegsgefahr
begebe, so gur könne er auch die Todesstrafe über Ein-
zelne verhängen. Das Letztere ist aber nicht nöthig,
und der moralischen Achtung der übrigen Strafen so
nachtheilig, als es nicht die Achtung der Menschenwürde,
sondern die Verachtung des menschlichen Lebens beur-
kundet.
Junghanns, der während der Rede Welcker's laut,
gemurrt hat, widersetzt sich, wie Mez, aus religiösen
Gründen sogar der Berathung in den Abtheilungen.
Das Gesetz, von welchem Mez sprach, habe nicht blos
in der althebräischen Zeit gegolten, sondern auch bisher
im Christenthum, Jahrtausende lang. Es stimme zu-
dem mit der Volksmeinung überein. Wer das nrcht
glaube, habe das Gegentheil zu beweisen. Viele seien
da, welche „den Rechtsboden zu untergraben suchten":
Die wollten natürlich keine Todesstrafe. Andere wollten
diese Strafe ans „Verweichlichung" nicht. Ihm sei die
„Freiheit" das Höchste; und könne der Staat dem Bür-
ger das Höchste nehmen, die Freiheit, so dürfe er auch
das minder Hohe nehmen, das Leben. Die Gründe
gegen die Todesstrafe sprächen zuletzt gegen jede Strafe.
Kapp: Ich unterstütze die Motion einfach, und
will nur wenige Worte über die Wiedervergeltung der
alten Völker sagen. Diese alten Völker standen eben
auf einer Stufe, welche als barbarisch bezeichnet werden
muß; uns haftet leider dies Barbarische immer noch an.
Im Christenthum nicht bloß — denn das versteht sich
von selbst! — sondern auch in der christlichen Kirche
war die Todesstrafe anerkannt. — Man hat gesagt: die
Gründe gegen die Todesstrafe sprächen gegen jede Strafe
überhaupt. Wohl, es liegt darin eine entfernte Wahr-
heit! Es kann vielleicht ein Zustand kommen, wo die
öffentliche Meinung so gesund, so stark ist, daß auf
jedem Verbrecher ein Verruf lastete, der das Verbrechen
unmöglich machen würde. Bis dahin ist freilich noch
Gründe haben mich eher wieder zweifelhaft als fest ge-
macht. Daß der Staat ein Recht habe, auf Todesstrafe
zu erkennen, ist unzweifelhaft; man kann dieß dann nur
läugnen, wenn man die Zurechnungsfähigkeit läugnet.
Der Herr Motionssteller hat auf Störungen des Ge-
müthslebeus durch physische Einwirkungen gesprochen.
Aber könnte man nicht mit gleichem Rechte auf moralische
Störungen Hinweisen? Könnte man nicht sagen: nicht
der Verbrecher, sondern die Ordnung, oder vielmehr die
Unordnung der Gesellschaft, welche einen Menschen zum
Verbrechen trieb, sei schuldig? Dann würde man aber
doch nie ein Verbrechen strafen können! Der Abg.
Rettig, wenn er in seinem Garten ein Unkraut findet,
fragt gewiß nicht, woher dieß Unkraut komme; er reißt
es eben aus! — Freilich wohl kann man von der Un-
sicherheit des Beweises reden. Diese Unsicherheit liegt
aber im Wesen aller menschlichen Einrichtungen.
Man wird einem Andern nie in's Herz schauen kön-
nen, Das ist richtig. Aber wir können deswegen auf
die Strafe nicht verzichten; und wo Einer schuldig ge-
sprochen ist, da muß das Urtheil auch ausgeführt wer-
den. Immerhin kann man über die Zweckmäßigkeit
der Todesstrafe streiten. Daß sie nicht nothwendig sei,
ist gewiß; denn ein Staat befindet sich sicher nicht dem
Verbrecher gegenüber im Stande der Nothwehr, wie
Dieß ost behauptet wurde.
Mir kömmt es einzig darauf an, ob das öffentliche
Rechtsgefühl Sühnung durch die Todesstrafe verlangt,
oder nicht. Verlangt es dieselbe, so will ich sie beibe-
halten wissen; im umgekehrten Fall muß ihre Abschaf- !
fung verlangt werden. Dabei ist sedoch zu prüfen,
welche Aeußerungen der Volksstimme dem Rache-, und
welche dem Rechtsgefühle zuznschreiben sind. Denn gar
ost verlangt mau im Namen der Humanität Abschaffung
der Todesstrafe, während im einzelnen Fall die öffentliche
Stimme rachsüchtig den Tod des Verbrechers fordert.
Die religiöse Rücksicht, welche den Abg. Mez ge-
leitet hat, müßte vielleicht eher zu Gunsten der Motion
stimmen. Das religiöse Gefühl hat doch auch seine
Entwicklung, und kann zuletzt sich auf den Standpunkt
der Humanität stellen.
Welcker: Der Abg. Mez hat in seinem achtbaren,
stttlichreligiösen Gefühl an die Bibel erinnert. Aber er
hat nicht bedacht, daß der Satz, von welchem er sprach,
in dem alten Testament, in der altsüdischen Gesetzgebung
steht, die durchaus abgeschafft ist und in der ganzen ge-
bildeten Welt nirgends mehr Anklang findet. Heißt es
nicht auch in jener hebräischen Gesetzgebung: „Wer Gott
läugnet, der soll gesteinigt werden?" — Müßte man es
nicht als durchaus verkehrt anseheu, wenn heute solche
Gesetze wieder Geltung haben sollten?
(Mez schüttelt den Kopf.)
Jesus richtete auch jenes Weib, das die große
Sünde des Ehebruchs auf sich geladen hatte, nicht in
dem althebräischen Sinne! Heißt es doch auch: „Rich-
tet Nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet!" Wer
wollte so vermessen sein, Dem, der gefehlt hat, zu sa-
Ken: nicht die Gesellschaft — nein Ds, Du allein bist
schuldig an deinem Verbrechen! — Der Herr Regie-
rungskommissär hat behauptet, es gebe Verbrechen, deren
Schuld zu tragen schlimmer sei, als der Tod. Gut,
hat Gott solche Regungen des Gewissens geschaffen,
dann wollen wir sie auch nicht durch den Tvdesstreich
unterdrücken, der Alles abschneidet. Der Herr Regie-
rungskommiffär hat auch gesagt, die Strafe müsse auch
ihre Spitze, ihren Ernst haben. Das heißt: in letzter
Instanz muß etwas Furchtbares, etwas Abschreckendes
da sein, womit man z. B. gegen politische Verbrecher,
gegen Hochverräter verfährt. Aber die politischen Ver-
brecher sind entweder Lumpenhunde, oder Ehrenmänner,
die ihr Vaterland lieben; und die Letztern schrecken Sie
mit dem Tode nicht ab!
(Stimmen: Sehr gut!)
Auch die ärgsten gemeinen Verbrecher schrecken Sie
nicht ab; denn Die spielen um ihr Leben, sind muthiger,
als Sie. — Wäre selbst das öffentliche Urtheil noch für
Beibehaltung der Todesstrafe, so müßte man sie den-
noch abschaffen, um nut gutem Beispiel voranzugehen.
Aber das öffentliche Urtheil steht nicht mehr so weit zu-
rück! Ein sittlich und rechtlich achtbares Volk hat die
Todesstrafe nicht mehr nöthig; und ich halte das badi-
sche Volk für ein solches. — Man kann wohl einwen-
den: so gut der Staat seine Mitbürger in Kriegsgefahr
begebe, so gur könne er auch die Todesstrafe über Ein-
zelne verhängen. Das Letztere ist aber nicht nöthig,
und der moralischen Achtung der übrigen Strafen so
nachtheilig, als es nicht die Achtung der Menschenwürde,
sondern die Verachtung des menschlichen Lebens beur-
kundet.
Junghanns, der während der Rede Welcker's laut,
gemurrt hat, widersetzt sich, wie Mez, aus religiösen
Gründen sogar der Berathung in den Abtheilungen.
Das Gesetz, von welchem Mez sprach, habe nicht blos
in der althebräischen Zeit gegolten, sondern auch bisher
im Christenthum, Jahrtausende lang. Es stimme zu-
dem mit der Volksmeinung überein. Wer das nrcht
glaube, habe das Gegentheil zu beweisen. Viele seien
da, welche „den Rechtsboden zu untergraben suchten":
Die wollten natürlich keine Todesstrafe. Andere wollten
diese Strafe ans „Verweichlichung" nicht. Ihm sei die
„Freiheit" das Höchste; und könne der Staat dem Bür-
ger das Höchste nehmen, die Freiheit, so dürfe er auch
das minder Hohe nehmen, das Leben. Die Gründe
gegen die Todesstrafe sprächen zuletzt gegen jede Strafe.
Kapp: Ich unterstütze die Motion einfach, und
will nur wenige Worte über die Wiedervergeltung der
alten Völker sagen. Diese alten Völker standen eben
auf einer Stufe, welche als barbarisch bezeichnet werden
muß; uns haftet leider dies Barbarische immer noch an.
Im Christenthum nicht bloß — denn das versteht sich
von selbst! — sondern auch in der christlichen Kirche
war die Todesstrafe anerkannt. — Man hat gesagt: die
Gründe gegen die Todesstrafe sprächen gegen jede Strafe
überhaupt. Wohl, es liegt darin eine entfernte Wahr-
heit! Es kann vielleicht ein Zustand kommen, wo die
öffentliche Meinung so gesund, so stark ist, daß auf
jedem Verbrecher ein Verruf lastete, der das Verbrechen
unmöglich machen würde. Bis dahin ist freilich noch